Matrix
Was haben Platons Höhlengleichnis (der wohl bedeutendste Beitrag zur philosophischen Erkenntnistheorie), die Erkenntnisse des Zen-Buddhismus, Jean Baudrillards medienphilosophischer Roman "Simulacres et Simulation", Friedrich Nietzsches Theorie vom Übermenschen Zarathustra, vereinzelte Elemente des Gnostizismus und die Handlungen aus dem alten und neuen biblischen Testament gemeinsam? Sie alle dienten zur Inspiration für einen der besten Actionfilme aller Zeiten aus dem Jahre 1999. Unglaublich, aber wahr, denn all diese komplexen und akademisch-intellektuellen Inhalte vereinten die Brüder Laurence und Andy Wachowski als Regisseure und Drehbuchautoren in ihrem filmhistorischen Beitrag "Matrix". Unter dem wachsamen Auge des Produzenten Joel Silver gelang es ihnen nicht nur, aus "Matrix" einen wundervollen Zwitter aus Unterhaltungsmedium und anspruchsvollem Werk zu kreieren, sondern auch den sprichwörtlich "perfekten" Film zu drehen.
Inhalt: Die Welt, in der wir leben, ist nur eine Scheinwelt. In Wahrheit haben vor geraumer Zeit die Maschinen die Macht an sich gerissen und die gesamte Menschheit im Sinne der Energiegewinnung versklavt. Nur wenige wissen um dieses Geheimnis. Einer von ihnen ist der gesuchte Terrorist Morpheus (Laurence Fishburne), der den Krieg gegen die Maschinen sowohl in der Realität als auch in der "Matrix" genannten Scheinwelt führt. Er glaubt, dass eines Tages jemand kommen wird, der diesen Kampf beenden und den Menschen die Freiheit zurück geben wird. Diesen Auserwählten scheint er im Hacker Neo (Keanu Reeves) gefunden zu haben. Doch bevor er diesen vermeintlichen Messias zu einem Kampfsportler ausbilden kann, muss er ihn erst in die schockierende Wahrheit einführen, was gar nicht so leicht wird, als die Maschinen mit Hilfe von künstlichen Intelligenzen in Form von Agenten (u.a. Hugo Weaving) versuchen, dieses Vorhaben zu sabotieren. Denn auch wenn die Matrix nur eine Projektion zu sein scheint, bedeutet der Tod in beiden Realitäten das Ende...
Alles an "Matrix" ist eigentlich überlebensgroß. Die Motive, die Handlung, die Anleihen, die Inhalte, so ist jeder Dialog bedeutungsschwanger, jeder aufgeworfene Gedankengang ein Fest für einen Philosophie-Studenten. Beinahe erschreckend ist es aber, dass die Gebrüder Wachowski ihren Film dennoch nie damit überfrachten. Obwohl sie sich nahezu volle 60 Minuten Zeit dafür nehmen müssen, ihre komplizierte Zukunftsversion zu entfalten und dem Zuschauer in vielen Szenen erst einmal die Gesetze und Regeln ihres Universums erklären müssen, gelingt es ihnen perfekt, die Spannungskurve stets hoch zu halten. Das Keanu Reeves Neo dabei genau wie wir als Unbeteiligter in die Szenarie geworfen wird, ist natürlich ein grandioser Kniff, der die Exposition nicht nur im Kontext der Handlung rechtfertigt, sondern uns auch die höchstmögliche Identifikation mit dem Protagonisten ermöglicht. Die Regie geht aber noch eine Spur weiter und lässt uns sogar an seinen Gedankengängen teilhaben und gibt uns das Gefühl, ebenfalls ein Element dieser "Scheinwelt" zu werden. Wenn Vorgänge wie "Deja-Vùs" oder Klarträume als Fehler oder Vorkommnisse in der Matrix erklärt werden, ist das nicht nur eine schöne Idee, sondern für uns auch noch erschreckend authentisch, da sich so für jeden die ein oder andere bizarre Lebenssituation, die man vielleicht einmal erlebt hat, erklären lassen. Sich eine Fantasy-Sci-Fi-Welt zu erdenken, ist dabei wahrscheinlich noch die kleinste Herkulesaufgabe, die sich die Autoren gestellt haben. Aber diese so zu gestalten, dass wirklich jeder sich deren Existenz vorstellen kann und sich selbst in einzelnen Szenen wieder findet, das grenzt schon an eine unermessliche Raffinesse.
Die beweisen die Wachowskis auch in der Optik. "Matrix" sieht nämlich einfach nur grandios aus. Der Einsatz verschiedener Farbfilter ist optisch eine genauso große Schau, wie die makellosen CGI-Effekte, von denen es nicht wenige gibt. Dass diese auch von Nöten sind, zeigen die fantastischen Actionsequenzen. Denn zwischen aller inhaltlicher Eleganz und Vielschichtigkeit, geht es hin und wieder auch richtig zur Sache. Und ob durch Kung-Fu und Karate-Kämpfe, den Einsatz von Schusswaffen bis hin zum lustvollen Zelebrieren eines Amoklaufes oder schnellen Verfolgungen, alles wird in "Matrix" zu einem Fest für Augen und Sinne. Ästhetische Inszenierungen, mannigfaltige Spielereien (unter anderem Motion Capture und Bullet-Time) und ein unfassbarer Ideenüberschuss an innovativen Gestaltungen, nichts gibt es hier, was man schon einmal irgendwo anders gesehen hat, alles wirkt frisch, mutig und aufregend. Dazwischen bleibt sogar noch Zeit für Humor und Selbstironie. Wie, wenn nicht als brillant sollte man dies beschreiben?
Dazu kommt noch, dass "Matrix" als großer Blockbuster tatsächlich noch ehrlich spannend ist und sein Publikum zu fesseln weiß. Nie ist der Ausgang einer Szene frühzeitig klar, zu keinem Zeitpunkt ahnt man die nächste überraschende Wendung voraus. Dies ist der eindeutige Verdienst der intelligent ausgeklügelten Handlung, die gleich drei Faktoren erfüllt: Sie bietet durch alle ihre Aneckungen an Fragen nach dem Sinn des Lebens, der Natur des Menschen und den anderen religiös-philosophischen Inhalten Stoff zum Nachdenken, sie liefert durch ihre Konflikte immer weitere pyrotechnische Exzesse und erzählt trotzdem eine stringente und mitreißende Handlung, die immer im Vordergrund steht und über ihre Charaktere funktioniert. An der Seite vom (als Actionhelden ohnehin immer gut besetzten) Reeves sind mit Carrie-Anne Moss und Laurence Fishburne die Sidekicks wunderbar und auf den Punkt genau besetzt, die größten darstellerischen Leistungen leisten aber der grandiose Hugo Weaving in der Rolle des Antagonisten Agent Smith und Joe Pantoliano als undurchsichtiger Cypher. Besonders um seine Figur herum entsteht eine der nervenzerfetzendsten Szenen der gesamten Filmgeschichte, die sich jedem wohl unvergesslich einbrennen wird und bei der man die Anspannung am ganzen Körper miterlebt.
Fazit: In "Matrix" geht es, wie in beinahe jedem großen Actionfilm, um das Schicksal der gesamten Menschheit. Doch wohl nur ganz wenige andere schaffen es, einem dies so begreiflich zu machen. Ob es die lustvolle Freude am Entdecken dieser etwas anders funktionierenden Welt mit ganz eigenen und unvorstellbaren physikalischen Gesetzen, die technische Brillanz jeder einzelnen Szene sowie die astreinen Choreographien der atemberaubenden Actionsequenzen oder der gewaltige Interpretationsspielraum in tausende unterschiedliche Richtungen der Handlung sind, jeder wird in diesem Streifen etwas finden, dass ihn ganz persönlich anspricht. Man kann den Film als tiefphilosophisches Werk genauso begreifen, wie als launigen und schnörkellosen Actionreißer. Und genau darin liegt seine große Qualität. Was man in "Matrix" auch sehen möchte, er funktioniert auf jeder nur erdenklichen Ebene hervorragend und stellt darüber hinaus optisch auch noch eine Revolution für das Medium Film im Allgemeinen dar. Wenn man diesen Film nicht als Meisterwerk bezeichnen sollte, stellt sich die Frage, bei welchem man es denn sonst tun soll.
