Filmtagebuch: Wallnuss

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Beitrag von SFI » 04.10.2016, 05:56

Absolut! Im Nachhinein betrachtet, erweist sich auch das Ego von George Takei als ein großer Pluspunkt. Der bestand nämlich im Vorfeld auf eine höhere Gewichtung seines Charakters, so dass man ihm ein eigenes Schiff gab. Die Excelsior Klasse, mein Lieblingsschiff, in Aktion zu sehen, ist definitiv das Salz in der Suppe.
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Beitrag von Wallnuss » 04.10.2016, 09:23

SFI hat geschrieben:Der bestand nämlich im Vorfeld auf eine höhere Gewichtung seines Charakters, so dass man ihm ein eigenes Schiff gab.
Danke für die Hintergrundinfos! Das ist in der Tat interessant, der durch diesen Umstand aufgeworfene Nebenplot (wenn man das so bezeichnen darf) aber so oder so eine absolut schlüssige Maßnahme, um gerade das Finale des Films zu dem Drahtseilakt zu machen, der es geworden ist. Übrigens sowieso ein tolles Schlussbild, wenn die Enterprise und die Excelsior am Ende davon schweben und Star Trek in seinen letzten Minuten mit der Originalcrew noch einmal jenen Pioniergeist beschwört, für den es so legendär geworden ist. Ein epischer, magischer Kinomoment.

Star Trek macht es einem da aber auch nicht leicht. Vor ein paar Wochen hätte ich noch felsenfest behauptet, dass nun aber doch definitiv The Wrath of Khan der beste Film und DAS Meisterwerk der Reihe ist, doch mit der Neusichtung von The Undiscovered Country sieht es viel mehr wieder so aus, dass ich absolut keine Ahnung hätte, welchen Film ich (auch im Hinblick auf die Umfrage oben) als den tatsächlich besten bezeichnen sollte, da sie einfach beide in der allerhöchsten Liga mitspielen können. Anders als bei Star Wars, bei dem The Empire Strikes Back ganz klar über die restlichen Filme triumphiert, hat Star Trek hier doch erstaunlicherweise zwei ebenbürtig starke Hochkaräter zu verbuchen - und der von vielen ebenfalls sehr geschätzte First Contact steht ja noch an. Gerade jetzt wird es allerdings für mich wirklich spannend, da ich TNG zwar im TV geliebt habe (vermutlich eine der besten Serien aller Zeiten), aber die Kinofilme alle erst 1-2 mal gesehen habe und an die Filme (vor allem an VII und IX) gar keine Erinnerungen mehr habe.

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Beitrag von SFI » 04.10.2016, 17:11

Dieser dadurch entstandene Nebenplot fand zudem noch einmal bei Voyager Verwendung, als Tuvok in seinen Flashbacks auf die Excelsior reiste. Erinnerst du dich? Hier sah man zudem die Erweiterung des ST VI Subplots bezüglich des explodierenden Mondes Praxis.
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It's the final countdown...

Beitrag von Wallnuss » 15.10.2016, 19:12

Der letzte Countdown

In geschriebener Form klingt der große Aufhänger des US-amerikanischen Science-Fiction-Films "Der letzte Countdown" von Regisseur Don Taylor aus dem Jahre 1980 nach einer Mischung aus einem Traum Harlan Ellisons und einem Skript der 60er Jahre Mystery-TV-Serie "Twilight Zone": Im Juli 1979 gerät ein hawaiianischer Flugzeugträger, die USS Nimitz, in einem mysteriösen Sturm, welcher die gesamte Besatzung rund um Captain Matthew Yelland per Zeitreise in das Jahr 1941 befördert, genauer gesagt an den 6. Dezember 1941, also exakt einen Tag vor den Angriff der Kaiserlich Japanischen Marineluftstreitkräfte auf die in Pearl Harbor liegende Pazifikflotte der Vereinigten Staaten. Was für den Zuschauer zuerst befremdlich wirken mag, ist für die Protagonisten der 102 Minuten langen Erzählung ein philosophisches und moralisches Dilemma, welches sie vor ein paar grundlegende Fragen stellt: Sollten sie den Versuch unternehmen, mit ihren modernen Kampfflugzeugen den Verlauf der Schlacht zu verändern und damit die letzten 40 Jahre der Weltgeschichte neuzuschreiben? Und wenn ja, können sie das überhaupt?

Wie Kenner der Thematik wissen dürften, wird dieses (für die Charaktere in Taylors Film nicht mehr ganz so) theoretische Problem in den entsprechenden Kreisen gerne als "Großvaterparadoxon" betitelt. Diesem Gedankenspiel, welches in "Der letzte Countdown" in einer Szene sogar ganz direkt zitiert wird, liegt die Idee zugrunde, man könne mit einer Zeitmaschine seinen eigenen Großvater treffen und ermorden, bevor dieser die eigene Großmutter kennenlernte. In direkter Konsequenz ergäben sich jedoch logische Probleme: Da man durch diese Tat selbst nie geboren wäre, könne man auch nie eine Zeitmaschine begehen und somit den entsprechenden Mord nicht begehen. Eine mögliche Lösung bietet das "selbstkonsistente Universum": In diesem sei jede mögliche Zeitreise und ihre verursachenden Kausalitäten bereits Teil der eigentlichen Vergangenheit und somit unabdingbar, alle Ausgangsmöglichkeiten der Zeitreise würden also unweigerlich zum identischen Ausgang führen. Dieser Ausgangslage sehen sich unwissentlich auch Yelland und seine Crew gegenüber gestellt: Ihr versuchtes Eingreifen in die Zeit wird möglicherweise erst überhaupt dafür verantwortlich sein, dass die Geschehnisse des 7. Dezembers sich so abspielen, wie es uns allen bekannt ist. Doch obwohl es der System-Analytiker Warren Lasky selbst ist, der das Großvaterparadoxon in "Der letzte Countdown" auf den Tisch bringt, so stellt er gleichwohl die Frage, ob man trotz der möglichen Konsequenzen für das Weltgeschehen nicht dennoch in der moralischen Pflicht sei, nicht zumindest den Versuch zu unternehmen, das Leben der etwa 2400 Toten der Schlacht zu retten.

Aufbauend auf diesen Überlegungen ergeben sich in Taylors Thriller die besten Momente immer dann, wenn sich Martin Sheen als Lasky und Kirk Douglas als Captain Yelland mit diesen Überlegungen konfrontiert sehen und dabei immer wieder mal konträre oder sich ähnelnde Sichtweisen offenbaren. So scheint es anfangs noch Lasky zu sein, der einer Änderung der Zeit kritisch gegenüber zu stehen scheint, wird diesen Standpunkt jedoch sehr bald überdenken müssen. Nicht zuletzt den beiden Darstellern (unterstützt von Charismatiker James Farentino) ist es zu verdanken, dass diese leider sehr kurzen Diskussionen mit der nötigen Überzeugung geführt werden, dass beide Sichtweisen verständlich und nachvollziehbar erscheinen. Taylor jedoch gibt dem Film an diesen Stellen nicht den nötigen Raum, um ausreichend in die Tiefe zu gehen: Es vergeht zu viel Zeit, bis es zum tatsächlichen Zeitsprung kommt und auch danach beschäftigt sich die Erzählung viel zu lange und ausführlich mit Nebensächlichkeiten. Als beispielsweise zwei japanische Aufklärer Stunden vor dem Angriff die Lage sondieren, schickt Yelland ebenfalls zwei Bomber in die Höhe und das (durchaus ansehnliche) Katz und Mausspiel in der Luft zieht sich eine ganze Passage weit, obwohl das letztendliche Resulat der Szene diesen zeitlichen Aufwand kaum rechtfertigen kann.

So entsteht oft der Eindruck, Taylor sei weniger an seiner Geschichte selbst interessiert, als an der Abfilmung des US-Militärs. Immer wieder starten und landen Kampfjets und ganze Flugstaffeln auf spektakuläre Art und Weise, nur eben insgesamt immer einmal zu oft im Hinblick auf die kurze Laufzeit. Die Ausstattung des Films kann sich dabei jedoch wirklich sehen lassen und wenn die USS Nimitz vor untergehendem roten Sonnenlicht über den Pazifik streicht, dann ist dies großes, imposantes Kino für die Augen, welches im krassen Gegensatz zur arg mäßig getricksten Durchquerung des Zeitportals steht. Hier hätte man den Spezialeffekten von Maurice Binder, dem Titelvorspann-Designer der "James Bond"-Filme, garantiert mehr Budget und Sorgfalt zugestehen müssen. Spannung kommt so aufgrund der unausgeglichenen Gewichtung der Regie nur passagenweise auf, weiß dafür dann aber auch zu zünden. Wenn etwa der ebenfalls Bond-erfahrende Soon-Tek Oh ("Der Mann mit dem goldenen Colt") als japanischer Kampfpilot und Gefangener auf der Nimitz eine Geiselsituation auslöst oder der Angriff auf Pearl Harbor kurz bevor steht, kann man "Der letzte Countdown" souveräne Spannung und routinierten Nervenkitzel attestieren, wie auch das antiklimaktische, aber folgerichtige Ende immerhin einen befriedigenden Abschluss zum Zeitreise-Thema bieten kann und somit dann doch noch einmal nachgeschoben das liefert, was einem die Ausgangssituation verspricht, und wenn es nur die Erkenntnis ist, dass wir uns dem Wandel der Zeit letztendlich immer beugen müssen.

Fazit: Auch wenn "Der letzte Countdown" sich nie so ganz des Verdachts entwehren kann, primär als demonstrierendes Werbevideo für die US-Navy entstanden zu sein, so kann man ihm seine Kurzweiligkeit widerrum nur schwerlich streitig machen. Kirk Douglas und Michael Sheen spielen unaufgeregt, aber sympathisch und authentisch, und sowohl die kleineren philosophischen Momente wie die Luftgefechte und reißerischeren Sequenzen wissen durch die professionelle und opulente Inszenierung zu gefallen, erwecken aber den Eindruck, dass es eine fähigere Strukturierung und eine klarere Zielsetzung gebraucht hätte, um das Potential der Geschichte zu einem organischen Ganzen zusammenzusetzen und dem amüsanten Filmvergnügen die nötige Tiefe beizumengen.

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Bock(wurst)stark oder ein Schuss in den Ofen?

Beitrag von Wallnuss » 17.10.2016, 22:03

Sausage Party - Es geht um die Wurst

Manchmal ist es fast schade, dass in den Kinos sogenannte Altersfreigaben existieren, die einem erst ab einem gewissen Alter gestatten, den entsprechenden Film zu goutieren. Denn im Falle der 2016er Animationsfilmkomödie "Sausage Party" wäre es doch glatt interessant gewesen, wie viele Mütter wohl binnen der ersten 15 Minuten mit ihren minderjährigen Kindern panisch und entsetzt den Saal verlassen hätten, wäre er nicht in den USA mit einem R-Rating (oder hierzulande mit einer FSK 16) versehen worden. Klar, oberflächlich mag das 89 minütige Filmvergnügen der Regisseure Conrad Vernon & Greg Tiernan mit seinen niedlichen Animationen von lebendigen Nahrungsmitteln wie Frankfurter Würstchen, Hotdog-Brötchen, Tequila Flaschen oder Kartoffelchip-Tüten wie eine unschuldige Kinderfilm-Geschichte der Marke Pixar oder Dreamworks wirken, doch schon nach der obligatorisch einleitenden Gesangseinlage und den ersten etwas zu eindeutig expliziten Annäherungsversuchen von Wurst und Brötchen wird schnell klar: "Sausage Party" ist der womöglich vulgärste und pubertärste Spaß des Kinosommers!

Besagte Altersfreigabe ist dabei so zutreffend wie schon lange nicht mehr: Die Dialoge von "Sausage Party" (unter anderem von Seth Rogen, der auch den Protagonisten vertont, und Evan Goldberg) reizen die Grenzen des guten Geschmacks so derbe aus, wie man es lange nicht mehr erlebt hat. Wenn hochkarätige Sprecher wie Jonah Hill, Kristen Wiig, Michael Cera, Selma Hayek, Edward Norton und "Ant Man"-Star Paul Rudd als unterschiedlichste Elemente der Nahrungspyramide endlos lange Ansammlungen von Schimpfwörtern zum Besten geben, betrunkene Spirituosen dem Hotdog-Brötchen eindeutige Avancen machen, aus den Regalen gestürzte Konserven und Gläser Kriegsfilm-artig verkrüppelt nach dem Aufschlag zurückbleiben oder ein versehentlich beschädigter Irrigator auf Rache für die Verbiegung seiner Pumpe sinnt, wechseln sich zum fremdschämen anregende Momente mit grandiosen Ideen ab, stoßen irrsinnige Zoten auf plumpe Sexwitze und kopulieren genredekonstruierende Elemente mit gelangweilt präsentierten Klischees. "Sausage Party" provoziert den Zuschauer am laufenden Band und lässt die zahlreichen Gags so blitzschnell und unmittelbar ohne Atempause bis zum Einsetzen des Abspanns über die Leinwand sprudeln, dass allerhöchstens ein Drittel von ihnen überhaupt wirklich sitzen kann, geschweige denn wahrgenommen wird. Dieses hohe Tempo trägt einen enormen Teil dazu bei, dass die Animationsorgie als gleichermaßen kurzweilig wie anstrengend eingeschätzt werden darf.

Obwohl die brillante Grundidee der Autoren nämlich in vielen Momenten die Bauchmuskeln zu strapazieren weiß, ist es schwer den Gedanken zu verwerfen, dass in diesem Falle ein spritziger Kurzfilm künstlich zum Langfilm aufgebläht werden musste. In seinen absolut besten Szenen ist "Sausage Party" schließlich all das, was man von ihm nach der Vorschau erwarten durfte. Unterstützt durch einen Score, bei dem unter anderem Disneyfilmmusik Veteran Alan Menken seine begabten Hände im Spiel hatte, wissen Vernon & Tiernan spielerisch, klassische Genremomente ad absurdum zu führen, wie die musikalisch traurig untermalte Retardierung am Ende des zweiten Drittels oder die Nebenhandlung des Slapstick-Sidekicks (die hier in einen höchst vergnüglichen Kiffer-Exzess mit James Franco mündet). Gleichzeitig jedoch nutzen sie die selbst erwählten Niveaulosigkeiten, um über das Medium Film hinaus einige clevere Selbstreferenzen vorzubringen, die besonders dadurch an Komik und Elan gewinnen, weil die erschaffene Welt (mag sie auch absurd gestaltet sein), das filmische Universum, von Anfang bis Ende (nicht zuletzt dank der oft herrlich eigensinnigen Animationen) schlüssig und kohärent wirkt. So weiß "Sausage Party" seine Zuschauer mit liebevollen optischen Details zu begeistern, überrascht aber ausgerechnet auf inhaltlicher Basis. Denn als die Lebensmittel, die uns Menschen wie Götter verehren, erfahren, dass sie nach dem Verlassen des Supermarktes eben nicht in eine Art göttliches Jenseits einfahren dürfen, sondern einem brutalen Schicksal begegnen werden, erlaubt es sich die Regie, ein paar nachdenkliche Momente einzustreuen, die blinden Fanatismus und depressiven Nihilismus genauso eindeutig kritisieren wie vorurteilsbehaftete Konflikte zwischen ethnischen Gruppierungen angesprochen und als sinnlos erkannt werden. Dass dem anarchistischen Perversitätenstadl von Haus aus ein gewisser Atheismus zu Grunde liegt, dürfte in der Natur der Sache liegen, die hiermit einhergehende Botschaft vermag dann in ihrer klaren Subtilität aber doch zu überraschen.

Dennoch - jeder Achilles hat schließlich seine Ferse - scheitert "Sausage Party" am Ende an sich selbst, beziehungsweise an den Hoffnungen der Machern, hiermit am ganz großen Rad zu drehen. So muss jeder halbwegs komische Moment bis zur Unendlichkeit ausgedehnt werden und besonders im abschließenden Drittel, welches nur noch als eine Aneinanderreihung von meist missglückten Steigerungsversuchen der vorhergehenden Verrücktheit gewertet werden darf, ist der Bogen dann doch zu arg überspannt, schlussendlich deshalb, weil der Anarcho-Ton sich längst abgenutzt hat und zur kalkulierten Masche, zum reinen Selbstzweck, mutiert, dem dann auch noch der unangenehme Anklang der Erzwungenheit anhaftet und nur zu gerne die Klischees bedient, die vorab noch mit Heftigkeit angeprangert wurden. So macht sich mit fortschreitender Laufzeit eine erschreckende Humorlosigkeit immer mehr bemerkbar, bei der sich irgendwann nur noch ein striktes Konsumieren anschickt und nach der man den abschließenden Schlussgag, bei dem der Zuschauer als Voyeurist nachgeschoben angeprangert und mit den verschwenderischen Konsumenten von Lebensmitteln auf eine Stufe gestellt werden soll, am besten gar nicht ernst nimmt.

Fazit: Alles hat ein Ende - nur die Wurst hat zwei. Diese sprichwörtliche Weisheit hätte bei "Sausage Party" gerne weniger wörtlich genommen werden dürfen. So wären die Macher vielleicht nicht dem Drang verfallen, jeden mehr oder weniger ansprechenden Kalauer mit bedingungsloser Hartnäckigkeit in ihrer Genre-Parodie zu verwursten. Das schlussendliche Ergebnis kann sich dem Eindruck nicht entsagen, dass hier gehörig viel Potenzial verschleudert und leichtfertig verworfen wurde, genauso wenig wie der Zuschauer in Gänze abstreiten wird, nichts desto trotz die volle Laufzeit über auf seine Kosten gekommen zu sein. "Sausage Party" sättigt, aber nährt leider nicht.

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Beitrag von StS » 18.10.2016, 06:59

...ich fand den köstlich. Dank O-Ton konnte ich da auch beruhigt ins Kino.
Dicke 8/10 von mir.

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Der Psycho und der Hipster

Beitrag von Wallnuss » 20.10.2016, 00:11

Tschick

Es ist immer wieder dieselbe Frage, mit der sich Literaturverfilmungen stets, vor allem dann, wenn sie auf besonders bekannten Vorlagen basieren, beschäftigen müssen: Braucht man einen Film zu einem Buch, dass bereits jeder gelesen hat? Selten konnte man diese Frage im Jahr 2016 mit solcher Dringlichkeit stellen wie im Falle von "Tschick": Wolfgang Herrndorfs vielfach ausgezeichnetem deutschen Jugendroman von 2010, der über 2 Millionen Leser fand und längst neben Mark Twains oder J. D. Salingers größten Erfolgen Bestandteil des deutschen Schulsystems geworden ist. Der deutschtürkische Regisseur Fatih Akin traute es sich schließlich zu, der großen Leserschaft einen visuellen Einblick in die Imagination Herrendorfs zu offenbaren, eine Reise zurück in die eigene Kindheit, die widerrum von zwei Jugendlichen handelt, die in die Welt der Erwachsenen vorstoßen wollen. Raus aus der tristen Wohlstandsverwahrlosung Marzahns, hinaus in die Walachei, eine Region, die nicht von ungefähr im allgemeinen Sprachgebrauch längst ein Synonym für "sehr weit weg" geworden ist.

Die Geschichte von "Tschick", sie ist eigentlich die Geschichte von Maik und seiner Begegnung mit Tschick, der Entwicklung, die durch seinen neuen ausländischen Klassenkameraden mit der fürchterlichen Frisur angestoßen wird. Akin inszeniert Maik als einen von sich selbst frustrierten Außenseiter, irgendwo zwischen Kindheit, Pubertät und Adoleszenz gefangen, aber stets mit dem Wunsch, aus sich und seinem Umfeld auszubrechen. In der visuell gewaltigsten Sequenz des Films ist Maik die Kälte seines Vaters endgültig zuwider. Er zielt mit seinen Fingern ganz unschuldig auf seinen Dad und schießt diesen plötzlich grotesk brutal und blutspritzend über den Haufen. Natürlich entlarvt Akin den schockierenden Anblick schnell als Traumsequenz, als "kindische" Spielerei, doch ist dieser beinahe simple Effekt absolut charakterdefinierend, für Maik wie auch für sein filmisches Abenteuer. Als er auf Tschick (der gerne mal betrunken zum Unterricht erscheint) und dessen "geliehenen" Lada Niva trifft, eröffnet sich ihm eine neue Welt, weg von der alkoholkranken Mutter, weg von der Klasse, in der er nur "Psycho" genannt wird, weg von Tatjana, die er schüchtern nur aus der Ferne anhimmelt. Es ist ein Glücksfall, dass Akin es nicht nur versteht, seine Protagonisten perfekt und effektiv zu charakterisieren, sondern sie auch ideal besetzen konnte: Tristan Göbel liefert als Maik eine mitreißende Performance und wird nur von Co-Star Anand "Tschick" Batbileg übertroffen, der vollkommen authentisch als russischer Spätmigrant-Hipster erscheint, der voller Energie und Elan steckt, aber in seiner immer nur ganz kurz verdunkelten Mimik andeutet, die gar nicht so idyllische Welt der Erwachsenen bereits einmal betreten zu haben.

"Tschick" war schon als Roman ein waschechtes Roadmovie und so ist die filmische Adaption für die ganz große Leinwand nur folgerichtig gewesen. Genaustens durchgeplant und in schnörkelloser Aufmachung zeigt die Regie Maisfelder, weite Wiesen und verträumte ostdeutsche Dörfer in makellos knalligen Farben, ohne sie zu präsentieren. Penibel vermeidet es die Erzählung zu dem Zeitpunkt, die Coming of Age Geschichte mit Pathos, gestellter Dramatik oder aufgesetzten philosophischen Jugendgedanken zu würzen. Die Regie von "Tschick" bleibt von Anfang an aufs zeigen beschränkt, füllt optisch aus, was Herrndorf auf seinen Seiten niederschrieb. Wenn Akin abweicht, dann nur, um ein paar visuelle oder an den nötigen Stellen entschlankende Akzente zu setzen sowie auch die Musik des Komponisten Vince Popes erstaunlich dezent bleibt, nur unterstreicht, aber stets im Geiste des geschriebenen Wortes. "Ist euch schon mal aufgefallen, dass ein Spiegel nur links und rechts, aber nicht oben und unten vertauscht?", werden Tschick und Maik an einer Stelle des Films gefragt werden und fast schein Akin hier ein Statement zu seiner eigenen Politik im Umgang mit der Vorlage zu äußern: Hin und wieder einen anderen Kontext suchen, eine Message zwischen den Zeilen in den Vordergrund rücken, aber dabei das Gefüge des Originals beibehalten. Es liegt an den Umständen des viel zu frühen Tods des Autoren, dass man hierbei nur spekulieren darf, doch mit Sicherheit hätte Herrndorf großen Gefallen an dieser Adaption gefunden.

So verfällt Akin notgedrungen, aber mit überspielender Leichtigkeit in einen Erzählrhythmus, der einer Aufzählung gleicht, in Etappen verläuft. Akin, dies schimmert stets durch, nimmt die Vorlage ernst und würdigt sie mit dem größten Respekt (selbst die absurdesten Momente des Romans ("Reis mit Pampe") oder die stilechte Jugendsprache bleiben mit dem nötigen Ernst enthalten), will aber auch das Mittel des Films nutzen, um mehr Tempo und Action zu bieten, um die Leinwand in Bewegung zu setzen. Ständig flüchten die Jungen, mal vor sich selbst, mal vor der Heimat, mal vor der Polizei, immer wieder stolpern sie direkt in die nächste Zufallsbegegnung. Kritisieren kann man daran problemlos, dass die einzelnen Abschnitte der Narration in ihrer Beschwingtheit mitunter stark variieren und so die Abmischung von Ruhe und Bewegung nicht immer ideal ist. Gravierender ist möglicherweise, dass bei aller Lässigkeit, Coolness und Energie die Tiefe der Figuren nach hinten hinaus zu dürftig erscheint für die Botschaften, deren Potenzial hier schlummert, weshalb der Film wohl auch bewusst in den letzten 15 Minuten arg zusammenfassend die letzten Kapitel abklammert und hastig endet. Es ist eher die Zärtlichkeit, die Sorgfalt für die Wünsche und Ideale der Jugendlichen, die "Tschick" so sympathisch und ehrlich machen, die ihm seinen Charakter verleihen. "Tschick" setzt sich für seine Zielgruppe ein, und das unprätentiös und unkompliziert, dabei gerne bewusst vereinfachend und seicht gehalten, aber immer spaßig und mit dem Blick nach vorne.

Fazit: "Tschick" ist Roadmovie-Kino für kleine und große Jungs und eine der glücklichen Ausnahmen, bei denen im Verhalten der großartig gespielten 14-jährigen Sympathieträger nicht der Blick Erwachsener von oben herab durchschimmert, sondern ein glaubwürdiger Querschnitt in das Denken der Jugend vorgenommen wird, von dessen Unschuld und Naivität die Kraft des Films maßgeblich ausgeht. Dennoch bleibt seitens der Leserschaft die drängende Frage: "Braucht man diesen Film?" Und hier muss die Antwort klar lauten: Und wie man das tut! Denn obgleich Fatih Akin den geschriebenen Worten Wolfgang Herrndorfs nicht viel hinzuzufügen hat, so versteht er es, den Zuschauer für 89 Minuten noch einmal mitzunehmen in die Welt von Maik und seinem Freund Tschick, in der die Walachei, in der "sehr weit weg", auch mal ganz nah dran sein kann.

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Rasanter Aufstieg oder Riesen-Enttäuschung?

Beitrag von Wallnuss » 20.10.2016, 20:27

Jack and the Giants

Die Zeiten der Gebrüder Grimm sind nun schon etwas länger um - doch Märchen, die funktionieren auch im 21. Jahrhundert noch einwandfrei. Vermutlich, weil sie nie so wirklich weg gewesen sind und sich eben nur den Gewohnheiten der heutigen Zeit angepasst haben. Was früher edle Ritter, mutige Farmersjungen und listige Schwertkämpfer gewesen sind, sprintet heute beispielsweise unter dem Firmenlogo Marvel durch Comichefte und Verfilmungen. Ob nun der Donnergott Thor mit seinem Hammer, Captain America mit seinem Schutzschild oder der Milliardär Iron Man in seiner Kampfrüstung, die Zeiten haben sich geändert, die Märchen sind geblieben. Da scheint es sinnig, hin und wieder auf diese Ursprünge der heutigen Superhelden-Welle zurückzublicken und es ist wohl die Ironie des Schicksals, dass sich ausgerechnet Bryan Singer, welcher noch im Jahr 2000 mit der erfolgreichen Verfilmung der "X-Men" diesen Boom erst auslöste, nur 13 Jahre später dieser Aufgabe annahm und zwar nicht die Grimms, dafür jedoch Joseph Jacobs als Vorbild für eine zeitgemäße Adaption nahm: "Jack and the Beanstalk", alias "Hans und die Bohnenranke".

Die riesige Bohnenranke, das Reich der Riesen im Himmel inklusive ihrer Bewohner: das Fantasy-Potenzial des Märchen-Klassikers, es scheint gerade zu gemacht dafür, mit den modernen Möglichkeiten der CGI-Animationen zum Leben erweckt zu werden. So dürfte der erste großer Dämpfer dann eintreten, wenn Singer zum ersten Mal seine Special Effects für sich arbeiten lässt. Auch wenn das Märchen-Setting per se ein seichtes ist, ist "Jack and the Giants" von Beginn an zu glatt, zu klobig, zu sauber, obwohl es durchaus zur Sache geht. Das Design der Riesen schreit nach Familienfreundlichkeit, doch sobald diese Mensch und Tier auf der Leinwand sichtbar die Köpfe abbeißen, widerspricht sich die Intention des Films eindeutig selbst. Die durchgehend sterile, aber insgesamt lieblose Mittelalter-Optik ist nicht nur deshalb störend, weil sie immer wieder die Gefährlichkeit und den Abenteuergeist der Erzählung hemmt, sondern ist auch ästhetisch an einigen Stellen bemerkenswert hässlich und befremdlich, meist leider ungewollt. Singer scheint aber auch seine Geschichte nicht in den Griff zu kriegen. Obwohl die Ausgangsposition des Märchens selbst den jüngeren Zuschauern bekannt sein dürfte, verschwendet er beinahe ein Drittel der Erzählung für die Exposition und etabliert zu viele Nebencharaktere und Zusatzinformationen, als dass diese auch nur ansatzweise im Gedächtnis haften blieben, wohl vor allem deshalb, weil ihnen auch in der darauffolgenden Narration kein echter Nutzen zugesprochen wird.

Es ist regelrecht skurril, respektable Darsteller wie Ian McShane, Eddie Marsan oder Christopher Fairbank in belanglosen Nebenrollen verheizt zu sehen, die immer wieder nur dann auftreten, wenn das doch recht kurze Märchen von Jack im Riesenreich auf Spielfilmlänge gestreckt werden soll. Besonders übel erwischt es dabei Stanley Tucci, der als zusätzlicher Antagonist (weil ein Königreich voller diabolischer Riesen als Bedrohung nicht ausreichen darf) eine bloße Schurken-Karikatur zum besten gibt, dankenswerterweise aber auch recht früh wieder abgesägt wird. Unglücklich auch die Besetzung von Nicholas Hoult als titelgebender Jack, der zwar gekonnt mit seinen künstlichen Gegenübern agiert, aber zu wenig Ausdruck hat, um alleine die Handlung zu tragen. Sein Ritter-Sidekick Elmond agiert nicht nur heroischer, sondern wird von "Star Wars"-Star Ewan McGregor auch mit mehr Spielfreude und Souveränität verkörpert. Die Sympathien sind daher schnell klar, auch wenn "Jack and the Giants" keinesfalls ernsthaft charaktergetrieben ist. Wie in den literarischen Märchen-Vorlagen liegt der Fokus auf dem Element des Fantastischen und dieser kommt trotz der mangelhaften Trickeffekte immer wieder zum Vorschein, erst recht, wenn dann endlich die Erkundung der Riesenwelt in Aktion tritt. In diesen Momenten weiß Singers Erzählweise gekonnt zu überzeugen, auch wenn echte Spannung hier mangels vernünftigen Sujets nicht aufkommen mag.

Sollte man "Jack and the Giants", der immerhin eine weltbekannte Geschichte erzählt, wirklich vorwerfen, vorhersehbar zu sein? Vermutlich ist das der falsche Ansatz und würde insgesamt auch nur davon ablenken, dass bei all den Stereotypen und Klischees der Film dennoch eine unbestreitbare Kurzweiligkeit innehat, sein Tempo lange genug ordentlich genug gewichtet, um zumindest keine Langeweile aufkommen zu lassen. Zumal Singers Adaption mit ihrer Verwurzelung in mittelalterlichen Fantasyatmosphäre ein Genre bedient, welches leider nicht mit derselben Regelmäßigkeit die Kinos füllt wie die bunte Superheldenkonkurrenz, sodass sein Film im Blockbuster-Bereich immerhin die Illusion von Abwechslung aufrecht erhält. Damit ist es jedoch spätestens vorbei, wenn die Regie die eigentliche Geschichte nach 80 Minuten abbricht und die restlichen 40 Minuten für einen Effekt- und Actionoverkill opfert, in der dem Massensterben ebenso gefrönt wird wie bei den "Avengers" und ihren Konsorten. Dort verliert und verspielt man mit voller Wucht jedweden Charme, der vorab eventuell sich hätte auftun können und setzt auf banale Reizüberflutung aus der Konsole, ein wahres Potpurri der dramaturgischen Einfallslosigkeit. Wenigstens darf Jack am Ende die widerspenstig-emanzipierte Prinzessin (niedlich: Eleanor Tomlinson) ehelichen und symbolträchtig das Märchenbuch schließen, bis dass der Tod sie scheide... oder so ähnlich.

Fazit: Wer von all den glattgebügelten, niemals scheiternden und stets kostümierten Superhelden im Blockbuster-Sektor genug hat, kann diese bei Bryan Singers "Jack and the Giant" nun endlich eintauschen, wenngleich auch nur gegen glattgebügelte, niemals scheiternde und stets kostümierte Bauersjungen und Ritterheere, deren Relevanz gegenüber ihren Comic-Konkurrenten wohl nur darin besteht, als erste da gewesen zu sein. Kompetent inszeniert ist die Märchenadaption, doch hebt sie sich nur im Setting von ihrem Umfeld ab und zeigt damit erschreckend deutlich, dass im Massenkino das Neue kaum noch von klassischen Stoff zu unterscheiden ist. Für einen verregneten Samstagabend taugt gewiss beides gleichermaßen gut oder schlecht, dennoch wird besonders "Jack and the Giants" schon sehr bald vergessen sein und wirklich niemanden mehr die Bohne interessieren. Es ist wohl der Vereinheitlichung des Massenkinos anzulasten, dass man am Ende nur noch auf einen Zeitsprung ins Jahr 2013 und einen Auftritt von Samuel L. Jackson mit Augenklappe wartet, und sein Fehlen die größte Überraschung des Filmes bleibt.

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Beitrag von SFI » 21.10.2016, 04:54

Von dieser Kindheitserinnerung hatte ich mir damals auch deutlich mehr erhofft.
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Beitrag von Wallnuss » 21.10.2016, 13:14

StS hat geschrieben:...ich fand den köstlich. Dank O-Ton konnte ich da auch beruhigt ins Kino. Dicke 8/10 von mir.
Habe "Sausage Party" ebenfalls im O-Ton gesehen. Solche Sachen gehen wie "Family Guy" oder "South Park" nun einmal nur im O-Ton! :D
SFI hat geschrieben:Von dieser Kindheitserinnerung hatte ich mir damals auch deutlich mehr erhofft.
Ich wollte den 2013 sogar im Kino sehen, weil ich den Singer als Regiemann ja schon arg schätze (auch besonders seine ersten beiden X-Men-Beiträge), aber hab den damals nicht nur verpasst, sondern jetzt auch fast 3 Jahre ungesehen im Regal verstauben lassen - gab einfach dann doch immer andere Prioritäten und dann hat man ihn irgendwann auch vergessen. Rückblickend hab ich da jedenfalls nix verpasst.

Müsste eigentlich mal mit Star Trek weiter machen.

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Beitrag von SFI » 21.10.2016, 16:58

Zu Generations gibt es immer noch kein Review im Board, also nur zu. :D
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Beitrag von Wallnuss » 26.10.2016, 15:30

Drachenzähmen leicht gemacht

Während die Kollegen der Animationsfilmschmiede der Pixar Animated Studios bei beinahe jedem neuen Kinoabenteuer für die ganze Familie von Publikum und Fachpresse gefeiert und bejubelt werden, stehen die Arbeiten der DreamWorks Animation SKG oft für ein deutlicher auf die jüngeren Zuschauer entwickeltes Trickfilm-Treiben, welches sich einerseits verspielter und verrückter gibt, gleichzeitig aber auch pädagogisch und moralisch deutlich einfacher gestrickt ist. Und auch "Drachenzähmen leicht gemacht", dem animierten 2010er Fantasy-Abenteuer der Regisseure Chris Sanders und Dean DeBlois, könnte man sicherlich spielerisch vorwerfen, auf allzu altbekannte und totgesehene Botschaften hinleiten zu wollen. Im Kern ist die Geschichte, die auf dem Kinderbuch der Autorin Cressida Cowell basiert, um den jungen Wikinger Hiccup und seinen besten Freund, dem dunklen und gar nicht so furchteinflößenden Drache Toothless, eine simple Erzählung über die Werte von Freundschaft und Familie. Dennoch sollten auch die älteren Zuschauer unbedingt einen Blick auf diesen sehr speziellen Film werfen, denn wie diese Geschichte erzählt wird, ist teilweise regelrecht atemberaubend.

Um Argumente gegen "Drachenzähmen leicht gemacht" zu finden, muss man sich nicht wirklich anstrengen: Natürlich sind viele Gags extrem kindlich geraten, selbstredend hat man die humoristischen Nebencharkatere (wie etwa Craig Ferguson alias Gobber the Belch) schon dutzendfach gesehen, logischerweise ist die seichte Romanze zwischen Hiccup und der toughen Astrid nach Schema F entwickelt und dennoch möchte man so manchen Fantasy-Regisseuren empfiehlen, sich ein Beispiel an DreamWorks Märchenerzählung zu nehmen. Bereits das in seiner 3D-Optik fabelhaft gestaltete Opening eines Angriffs der Fabelwesen auf die heimische Siedlung ist bei aller Familienfreundlichkeit erschreckend druckvoll und mitreißend inszeniert, und sogar an den animierten Schweiß auf den Gesichtern der Wikinger wurde hier gedacht. Großartig entführen einen die digitalen Plansequenzen nach wenigen Minuten in eine Welt, die sofort eine Sogwirkung entfalten kann und - so verblüffend dies für sich genommen bereits ist - hochgradig authentisch ist. In den aufwendigen und liebevoll detaillierten Flugeinlagen zeigt nicht nur die Animationstechnik, wie ausgereift und erschreckend realistisch diese mittlerweile eingesetzt werden kann, sondern auch die Regie, dass sie dieses kleine Mini-Universum absolut ernstnimmt und ernstgenommen werden will. Ohne auch nur annähernd an alberne plumpe Cartoon-Proportionen zu erinnern, entwickelt DeBlois und Sanders eine Effektschau, deren Verhältnismäßigkeit stets intakt ist: Auf nahezu wundersame Art und Weise entsteht so eine ganz eigene, aber kohärente physikalische Gesetzmäßigkeit, die die schwindelerregenden Drachenritte Hiccups greifbar auf den Zuschauer transportieren, gleichzeitig bleibt aber auch die Dynamik des fliegenden Toothless mit der nötigen Wucht erhalten.

Ganz unabhängig von der Freude darüber, dass durch die stets herrschende Schwerkraft im Film die Faszination des Fliegens so glaubwürdig wie lange nicht mehr auf die Leinwand gebannt wird, begeistert die in jeder Hinsicht wunderschön fantasievolle Ausgestaltung des Berges "Berk", auf dem die Wikinger dem Drachenzähmen nachgehen. In einer der schönsten und atmosphärisch dichtesten Szenen des Films blättert Hiccup etwa durch ein Lexikon voll mit Zeichnungen und Erklärungen zu unterschiedlichsten Drachenrassen, von denen noch nicht einmal alle im Film gezeigt werden und somit Raum für Fortsetzungen schaffen. Die Echtheit der Zeichnungen und Erklärungen wirkt dabei mit soviel Herz gestaltet, dass man beinahe darauf wetten könnte, die Autoren und Designer könnten zu wirklich jeder Drachenrasse eine eigene fertige Anatomie vorlegen. Genauso schön sind auch die tatsächlichen Drachen, abgesehen vom zuckersüßen Toothless gestaltet: Jeder Drache hat seine eigene Persönlichkeit und Charakteristiken, die aber in sich schlüssig sind und optisch wie inhaltlich einen Nutzen erfüllen. Auch die Sprecher (etwa Jay Baruchel, Jonah Hill, T. J. Miller oder Gerard Butler) machen allesamt einen souveränen Job und können die liebenswerten menschlichen Charaktere mit Leben füllen, und umschiffen mit ihrer sehr direkten klanglichen Emotionalität ein ums andere Mal gekonnt den kitschigen Grundton, der so manchen Szenen zielgruppengerecht anhaftet. Selbiges gilt für die verträumte Musik des "X-Men"-Komponisten John Powell, der mit einigen einprägsamen Themen den Fantasy-Charakter des Films ebenso gekonnt unterstreicht wie die märchenhafte Erzählweise.

Regelrecht verblüffend ist, wie gut die Dramaturgie an vielen Stellen funktioniert. Wenn die Freundschaft von Toothless und Hiccup auf dem Höhepunkt gegenseitigen Vertrauens anlangt, fühlt sich die Wärme der Szenen ehrlich und inspirierend an, gleichzeitig ist aber auch das "Drama" um den Protagonisten und seinen Vater in seiner Einfachheit warmherzig und mitfühlend. Und der Humor, wenngleich nicht immer zündend, weiß in seinen besten Momenten ein paar tolle Lacher und Grinser für Groß und Klein parat zu halten. Richtig großartig wird "Drachenzähmen leicht gemacht" dann aber im abschließenden Drittel, wenn er seine ausgefallene Cinematographie selbst zum Kern der Erzählung macht. Als man nämlich um die genaueren Umstände des Zusammenlebens der fliegenden Reptilien erfährt, hält man in der Tat kurz den Atem an und ist dann begeistert, wie die Geschichte das Gesetz der Fische ("Matsya Nyaya") auf die Bewohner der Lüfte übertragen wird und das antagonistisch auftretende Geschöpf somit auch nur ein Umstand der Begebenheiten der Natur ist, womit der naturalistische "Realismus" der Inszenierung eine inhaltliche Entsprechung erfährt. Obgleich man bei der Spannung, die durch das Eintauchen in diese Welt ermöglicht wurde, eine zusätzliche Bedrohung eigentlich gar nicht gebraucht hätte, muss man sich wohl eingestehen, dass dies zugleich das schönste Kompliment ist, dass man "Drachenzähmen leicht gemacht" nur machen kann.

Fazit: Wenn die Kinder aus dem Kino stürmen und begeistert mit einem Hausdrachen über den Wolken Abenteuer erleben wollen, haben die Regisseure eigentlich bereits alles richtig gemacht. Doch auch das ein oder andere Elternteil dürfte hier im Rückblick auf die perfekt getricksten Aufnahmen ins Schwärmen geraten, wie es wohl wäre, mit seinem eigenen feuerspeienden Gefährten die Lüfte zu erkunden und den Freunden zu imponieren. "Drachenzähmen leicht gemacht" ist ein Film von Träumern für Träumer, naiv, liebevoll und oftmals einfach wunderschön anzusehen.

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Beitrag von Wallnuss » 26.10.2016, 16:50

Megamind

Was wäre Batman ohne Joker? Was wäre Superman ohne Lex Luthor? Was wäre Spiderman ohne den Green Goblin? Und was wäre Metro Man ohne... Megamind? Es ist wohl ein ungeschriebenes Gesetz, dass ein Held, ganz besonders ein Superheld, nur so gut ist, wie sein Widersacher. Und schon nach den ersten Minuten des DreamWorks-Animationsstreifen "Megamind" aus dem Jahre 2010 müsste daher klar sein, dass Metro Man nicht viel taugen kann, denn sein Feind ist sicher eine größenwahnsinnige und ambitionierte, aber eben auch weinerliche, tollpatschige und eher peinliche Witzfigur. Glücklicherweise ist es daher nicht der mit Elvis Presley-Gedenkfrisur bestückte Muskelprotz, dem wir unsere geteilte Aufmerksamkeit widmen, sondern der kahle blauhäutige Megamind, den Regisseur Tom McGrath für seine gleichnamige Superheld... äh, Superschurken-Geschichte in den Fokus rückt. Megamind nämlich lässt plötzlich unerwartet seinen strahlemännischen Widersacher über die Klinge springen und findet sich als Sieger des ewigen Duells wieder... leider muss er dabei ganz schnell erkennen, dass Bösesein ohne einen Helden gar nicht so viel Spaß macht wie erhofft.

Es ist ein genialer Kniff, in Zeiten von Superhelden-Blockbustern wie "Iron Man", "Der unglaubliche Hulk" oder "Batman Begins" einmal den Blickwinkel umzukehren und sich den Widersachern zu widmen. Und McGraths Film, der überdeutlich mehr Genreparodie als Kinderfilm ist, ist daher im Vergleich zu anderen DreamWorks-Filmen wie "Drachenzähmen leicht gemacht" oder "Kung Fu Panda" deutlicher auf ein erwachsenes Publikum zugeschnitten. Dies schlägt sich in der überaus rasanten Erzählweise mit reichlichen Actionszenen ebenso deutlich nieder wie in den zahlreichen Anspielungen auf die berühmten Vorbilder, ganz besonders natürlich Superman (die weibliche Hauptrolle, Reporterin Roxanne Ritchi, erinnert verblüffend an eine gewisse Mitarbeiterin des Daily Planet). Doch Hauptattraktion ist natürlich Will Ferrell alias Megamind, eine perfekte Besetzung, wie bereits nach kürzester Zeit klar wird. Trotz all des Staubes, der auf der Rolle des stets ins Fettnäpfchen tretenden herzensguten Loser mittlerweile angesammelt ist, funktioniert der Protagonist hier erstaunlich gut und wird sofort als Fixpunkt akzeptiert und ins Herz geschlossen. Ferrell gibt dem ulkig gestalteten Möchtegern-Villain eine sprachliche Vielfalt mit, die bereits für sich genommen unglaublich charismatisch wirkt, im Hinblick auf die großartigen Animationen aber noch zusätzlich verstärkt wird. Überhaupt sind alle Charaktere liebenswerte Chaoten oder herrlich absurde Gestalten: Tina Fey ist großartig auf Roxanne, David Cross als Henchfish-Sidekick Minion der heimliche Star des Films, Jonah Hill als arroganter Helden-Newcomer Titan/Tighten eine echte Bank und Metro Man darf sich neben lässigen Cowboystiefeln mit der Stimme von Brad Pitt schmücken.

Was "Megamind" zu einem respektablen Vertreter neben den Realfilm-Comic-Adaptionen macht, ist sein höchst originelles und intelligentes Script. "Megamind" ist nämlich nicht nur voller Spitzen und Neckereien gegenüber den Marvel- und DC-Helden, sondern schafft es auch, ganz nebenbei und niemals aufdringlich eine schöne Leitfrage zu etablieren: Bestimmen wir unser Schicksal selbst oder bestimmt es uns? Megamind hatte von Geburt an keine andere Wahl, als zum Superschurken zu werden, doch spätestens an dem Punkt, an dem die Entführung der schönen Frau für alle Beteiligten zur lahmen Routine wird, ist er gezwungen, sein Leben umzukrempeln und selbst zum Helden zu werden... oder zumindest einen zu schaffen. "Megamind" ist dabei ein gleichermaßen böser wie cleverer Genrebeitrag, der einerseits die Konventionen des Heldenmythos zerlegt und aufdröselt, gleichzeitig aber auch beweist, wie austauschbar und gleichgültig diese immergleichen Charaktere eigentlich sind. Wenn Megamind mit Hilfe eines Gadgets ständig die Identität wechselt, einmal sogar selbst zu Metro Man wird, ist dies einer der besten Kommentare, die man zum Superhelden-Hype je gehört hat. Großartig ist die Animationskunst der DreamWorks Studios: In aller brillantester Bild- und Tonqualität offerieren sie eine belebende Metropole, die bei aller Cartoon-Optik hoch authentisch scheinen. Ganz stark sind die Wetteranimationen (besonders großartig gefallen die täuschend echten Regenschauer!) und die Inszenierung der Actionszenen, die sich vor den Filmen von Bryan Singer, Sam Raimi oder Christopher Nolan nicht zu verstecken brauchen und in denen es vor allem im Showdown sogar richtig hart zur Sache geht. Diese erwachsene Grundhaltung macht "Megamind" aus, gleichzeitig genehmight er sich aber dem Kinderfilm-üblichem Slapstick.

Der Humor jedoch mag flach und oftmals erschreckend doof sein, erfüllt damit aber genau sein Ziel und zündet in beträchtlicher Anzahl. Wenn Roxanne den Geheimeingang des Verstecks Megamind durch eine Fußmatte mit der Aufschrift "Geheimeingang" ausfindig macht, krümmt man sich am Boden vor Lachen und fühlt sich an die besten Zeiten eines Leslie Nielsens erinnert, der hier sicher seine pure Freude gehabt hätte. Das Herz des Films bleibt aber trotz des enormen Fundus an filmgeschichtlichen Zitaten und absurd witzigen Einlagen die komplexe Geschichte, welche die zentrale Wandlung des schurkischen Widersachers zum aufopferungsvollen Weltenretter perfekt und mitreißend illustriert. Zwischen all den Metaebenen und Querverweisen stimmt der Selbstbezug zur eigentlichen Geschichte, die nie aus den Augen verloren wird und in den vollgepackten 96 Minuten bildgewaltig erzählt wird. Fantastisch gelingt der Einsatz der Musik, wenn etwa AC/DC mit "Highway To Hell" oder Michael Jacksons "Bad" die Szenerie untermalen, dann dürfte das Grinsen auf den Gesichtern der Zuschauer schwer abzukriegen sein. Auch die instrumentale Musik gefällt, begeistern doch Hans Zimmer und Lorne Balfe mit bockstarken Themen und Melodien, die schon lange nicht mehr so ausufernd episch die großen Töne anschlagen durften. Schade ist nur, dass "Megamind" im letzten Drittel dann doch ein Stückweit zu konventionell wird und seine Handlung zwar zufriedenstellend beendet, aber etwas zu gewollt zahm und brav das unglücklich lange Happy End sucht und sich somit nur ganz knapp nicht unter den besten Genre-Parodien einreihen darf.

Fazit: "Megamind" ist ein Heidenspaß, der freilich auf ein eher erwachsenes Publikum abzielt und für Kinder mit Sicherheit etwas zu sperrig und überladen wirken kann. In teils genial-entlarvender Montur zerfleddert Tom McGrath die Superhelden- und Schurken-Klischees und punktet mit liebenswerten Figuren, brillanten Animationen und urkomischen Momenten, auch wenn die Frage nach der Sinnhaftigkeit eines Selbstzerstörungsknopfes in nahezu allen Schurkenverstecken selbst in "Megamind" unbeantwortet bleibt.

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Trekathlon Siete: Lost In Time!

Beitrag von Wallnuss » 27.10.2016, 00:03

Star Trek: Treffen der Generationen

"Time is the fire in which we burn." - Für Dr. Soren ist die Zeit ein erbitterter Feind, ein Predator, der sich von hinten an ihn heranschleicht und ihn irgendwann hinwegraffen und besiegen wird. Doch er sieht eine Möglichkeit, dem zu entrinnen: Der Nexus, ein Portal in eine andere Welt, in der die Zeit keine Bedeutung hat. Gleichzeitig wird auch Jean-Luc Picard, Captain der Enterprise-D, sich durch einen familiären Schicksalsschlag schmerzlich seiner eigenen Sterblichkeit bewusst ("I've become very much aware that there were fewer days ahead than there are behind") und sucht den Trost in der Flucht auf den Holodecks in die Vergangenheit. Und Android Data hingegen blickt auf die 34 Jahre zurück, die er versuchte, menschliche Verhaltensweisen zu verstehen und erkennt, dass ihm selbst simpelste Dinge wie Humor immer noch fremd sind und greift zu drastischen Methoden: Einem Emotionschip, mit verheerenden Folgen. Die Zeit spielt eine große Rolle im neuen "Star Trek"-Kinoabenteuer... doch Moment: Picard, Data? Enterprise-D? War da nicht der legendäre William Shatner als noch legendärer Captain Kirk am Anfang des Films?

1994 wagte "Star Trek" den wohl gewaltigsten Schritt, den je eine Filmreihe gemacht hatte: Ein kurzes Intro mit Captain Kirk und Cameo-Auftritten von Chekov und Scotty erinnert noch einmal an alte Zeiten, bis das filmische "Treffen der Generationen" eingeläutet wird, von einer Aufschrift: "78 years ago". Und plötzlich erleben wir ihre Abenteuer, die Geschichten der "Next Generation", die von 1987-1994 über die TV-Bildschirme flimmerten. Es ist ein großer Moment für das Franchise, denn obgleich der Fan mit Charakteren wie Data, Picard, Riker, Worf oder Troi bestens vertraut sein mag, so tauscht der gemeine Kinogänger hier die eine Crew gegen die andere. Und man kann Regisseur David Carson (der selbst ein paar Episoden der TV-Serie inszenierte) nur beglückwünschen in der Art, wie er diese Staffelübergabe gestaltet. In genau dem richtigen Tempo versteht er es, im ersten Drittel sowohl Captain Kirk seinen wohlverdienten Abschied zu geben, die gesamte neue Crew der Enterprise-D einzuführen, dabei jedem Charakter seinen eigenen definierenden Moment zu verpassen, gleichzeitig einige Handlungsstränge wie besagten Emotionschip aus den 7 TV-Staffeln fortzusetzen (es bleibt sogar Zeit für eine direkte Anspielung auf die allererste Episode der Serie: "Encounter at Farpoint") und eine neue Geschichte für das 2-stündige Filmvergnüngen zu etablieren. Doch zu keiner Zeit wirkt dieses Vorhaben überladen, tatsächlich funktioniert Carsons Film ganz flüssig und organisch als Nexus zwischen den letzten Kinofilmen und der beliebten Serie. Hut ab!

Doch zurück zum Thema Zeit, denn es ist der Leitfaden, der Begriff, der bei einem "Treffen der Generationen" zwangsläufig im Fokus stehen muss. Und den Autoren sowie der Regie gelingt es hier fabelhaft, die Zeit selbst als Protagonisten zu bekleiden und einzusetzen. Vom gewaltigen Zeitsprung zu Beginn ganz abgesehen, wirft Carson immer wieder die Frage auf, was wichtiger ist: Was übrig bleibt, wenn die eigene Zeit abgelaufen ist oder wie man die noch verbleibende Zeit gestalten sollte. In einigen teils sehr poetischen Dialogen (meist gesprochen vom fantastischen Patrick Stewart) entwickelt sich so eine psychlogisch wie philosophisch anregende Odyssee in bester "Star Trek"-Tradition, die dennoch nie die Frage nach ihrer Kino-Herkunft verleugnet: Wenn etwa eine ganze Sonne implodiert, ein klingonischer Bird of Prey blitzschnell die Enterprise attackiert oder Picard und Soran ganz alleine auf einem unbewohnten Planeten in luftiger Höhe das Schicksal einer ganzen Kultur ausfechten, dann ist das spannend inszeniertes und packendes Sci-Fi-Actionkino für alle Generationen der Familie. Höhepunkt ist dabei sicherlich die überaus spektakuläre Notlandung der Enterprise-D, die minutenlang genüsslich in technischer Perfektion zu Boden geht und einen regelrecht umzuhauen weiß. Der ausgewogene Mix aus Einführung der "Next Generation" für die Kinogänger, der Fortsetzung der Serienhandlungen für die Kenner, der philosophischen "Star Trek"-Komponente per se und den gut dosierten Actionmomenten machen Carsons Film zu einem wunderbar unterhaltsamen Weltraumspaß, der dank Brent Spiners genialer Data-Performance auch mit genügend Humor gesegnet ist.

Am sehr eigenwilligen Schlussdrittel des Films werden sich dafür auf ewig die Geister scheiden. Das wirkliche "Treffen der Generationen", der Moment, in dem sich James T. Kirk und Jean-Luc Picard gegenüberstehen, er hätte anti-epischer nicht ausfallen können. Überhaupt ist vieles nicht so, wie man es bei diesem Anlass erwarten könnte, der große Showdown, er fällt fast antiklimaktisch, reduziert, zurückhaltend auf. Erfreulicherweise verfällt Carson gerade nicht dem Drang, allzu sehr das besondere Element dieser Zusammenführung zu betonen, allzu aufdringlich auch noch den letzten Zuschauer in der hintersten Reihe darauf hinzuweisen, wie spektakulär allein der Anblick beider Captains zur gleichen Zeit für die Fans sein muss. Er erzählt seine Geschichte ruhig und gewählt zu Ende, nutzt die vielen Chancen für Pathos und Dramatisierungen bewusst nicht, und erreicht so die viel ehrlichere Wirkung, genau wie auch der Score von Dennis McCarthy ganz unaufgeregt auf atmosphärische Kompositionen setzt. Das einige Anspielungen dabei den reinen Filmzuschauern entgehen, nimmt er bewusst in Kauf, genauso wie die Nebenhandlung um die klingonischen Duras-Schwestern (ebenfalls alte Bekannte für den TV-Zuschauer) zwar spannend, aber für Nicht-Eingeweihte etwas zu mäandernd wirken mag und darf. Carson setzt auf den Moment an sich, nicht auf die Inszenierung des Moments, steht im Schatten der Zeit, und manipuliert sie nicht in ihrer Endgültigkeit ("It's our mortality that defines us. It's part of the truth of our existence.").

Fazit: Auch mit neuer Crew weiß das weltweite Phänomen im siebten Kinoabenteuer des Raumschiff Enterprise durch spannende philosophische Dialoge, intelligente Überlegungen zu universellen Themen, interessant gestaltete vielschichtige Charaktere und fantasievollen Sci-Fi-Handlungen zu punkten und dank der bestens aufgelegten Darsteller (neben der Crew besonders stark als Villain: Malcolm McDowell!) ein neues Zeitalter für die Zukunft der Reihe einzuläuten. Durch seine eindeutige Funktion als Brückenfilm zwischen den Abenteuern von Kirk und Spock und der "Next Generation" ist das "Treffen der Generationen" dabei zwar definitiv der "Star Trek"-Film mit der geringsten Eigenständigkeit und in vielen Details nur für Insider in Gänze ersichtlich, was seinem Unterhaltungswert jedoch keinen Abbruch tut.

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Beitrag von SFI » 27.10.2016, 07:17

Ich gehe mit deiner Kritik absolut konform, aber in keinem Atemzug erwähnst du das fantastische Opening, denn die Taufe der Enterprise-B ist ein Fanservice sondergleichen. Der Trekkie bekommt ZWEI Schiffe, was ja wohl epischer als die beiden Captains sein dürfte. Hinfort mit dir! :wink: :lol: Vielleicht noch ein kleiner Hinweis zu den Verknüpfungen: Die El Aurianischen Flüchtlinge zur Enterprise-B Zeit, sind wohl die Überlebenden des von Guinan in der Serie erwähnten Borgangriffs auf ihren Heimatplaneten. Oft genannt, aber negativ stieß mir immer die unpassend montierte Explosion des Bird of Preys auf, die man einfach aus dem Vorgängerfilm verwendete.
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Beitrag von Wallnuss » 27.10.2016, 11:37

SFI hat geschrieben:negativ stieß mir immer die unpassend montierte Explosion des Bird of Preys auf, die man einfach aus dem Vorgängerfilm verwendete
Wobei das Recycling älterer Filmaufnahmen bei Star Trek ja fast schon Tradition hat (Startsequenz der Enterprise in Teil I und II, Endszene in von II als Opening in III, erste Aufnahme der Enterprise-A in IV und V)... vermutlich ist es mir deshalb schockierenderweise bei der letzten Sichtung nicht mal aufgefallen. :shock: Das Opening ist natürlich großartig gelungen, sehr sehr spannend ohnehin, aber auch in seinem "Abschluss" bittersüß. Auf jeden Fall konnte ich die vielen Maulschellen gegen "Generations" nie so ganz nachvollziehen, insgesamt einfach ein packender, spannender Sci-Fi-Actioner mit Köpfchen und einem in meinen Augen stimmigen Abschluss für die Kirk-Figur. Interessant fand ich die letzte Szene in den Trümmern der Enterprise-D, als Picard mit Riker auf der Suche nach seinem Familienalbum das Kurlanische Naiskos einfach achtlos wegwirft... :lol:

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Run boy run! Running is a victory...

Beitrag von Wallnuss » 27.10.2016, 23:55

Maze Runner: Die Auserwählten im Labyrinth

Ein Jahr lang war der Jugendroman "Maze Runner", der Auftakt einer literarischen Trilogie, des US-amerikanischen Schriftstellers James Dashner auf der New-York-Times-Bestsellerliste. Und wo junge Romanleser die Kassen klingeln lassen, da sind die Produzenten aus Hollywood nicht weit. So sollte es nur 5 Jahre nach Erscheinung des Bestsellers dauern, bis Wes Ball mit der Transformation von Buch zu Film 2014 sein Regiedebüt geben sollte. Und schon nach wenigen Minuten wird klar, worin sich "Maze Runner" von anderen Young-Adult-orientierten Filmen seiner Generation unterscheidet, denn wenngleich auch er daran interessiert ist, in den Mittelpunkt der Handlung die klassischen jugendlichen Selbstfindungsprozesse zu rücken, so geht es in diesem dystopischen Szenario trotz angestrebter Zielgruppe erstaunlich düster zu. Wofür andere anschauliche Bebilderungen brauchen, gelingt Ball in den ersten 2 Minuten und schon ist man mittendrin im Abenteuer: Genauso unmittelbar wie Protagonist Thomas, dessen Wissenstand stets mit dem des Zuschauers identisch sein wird.

Hierin liegt eine der größten Stärken der Romanadaption: Ball bleibt beinahe klaustrophobisch dicht an Hauptdarsteller Dylan O'Brien haften, sodass keine Szene ohne den Teenie-Star abläuft. Seine Erfahrungen werden zu unseren Erfahrungen, unser Blickwinkel verschmilzt immer wieder aufs Neue mit seinen Erkenntnissen. O'Brien, der mit seinem berherzten vollen Körpereinsatz den Film durchaus im Alleingang tragen kann, verkörpert sehr gut das Spiegelbild des Zuschauers: die anfängliche Verwunderung über das in der Tat komplizierte Universum, die aufkeimende Skepsis und das von Neugier geprägte Rebellentum. Doch "Maze Runner" überzeugt vor allem durch seine tatsächlich sehr glaubwürdig und interessant bebilderte "Robinsonade". Die hellerstrahlte Lichtung, auf der die Jugendlichen wie Gefangene zwischen den toll getricksten gigantischen Mauern des Labyrinths gehalten werden, verkommt schnell zu einem surrealistischen Garten Eden, der im krassen Gegensatz zu der bedrohlichen Stimmung beim Erkunden des Labyrinths steht. Ball weiß seine Schauplätze zu inszenieren und so sind die meist bei Nacht erkundeten Irrwege der Außenhülle die richtige Mischung aus Horrorfilm-hafter Schaurigkeit und spektakulärer Rätsel-Kulisse, bei der man von Anfang an merkt, dass mehr dahinter stecken muss, als auf den ersten Blick ersichtlich. Geschickt gelingt der Regie, mit mythologischen Bildern zu spielen: in den dichten Gängen des Labyrinths glaubt man, hinter jeder Ecke mit einem Minotaurus rechnen zu können, während der Hauptfokus (wie in William Goldings "Lord of the Flies") auf der eigens-entwickelten gesellschaftlichen Struktur der jugendlichen Insassen liegt.

Diese ist erfreulich gelungen ausgearbeitet worden und gewährt den unterschiedlichen Charakteren sogar die nötige Tiefe, um ihre Entwicklung glaubhaft nachvollziehen zu können. Die rein männliche Gesellschaft ist in ihrer spartanischen Herrschaftsform und ihren wenigen elementaren Regeln absolut authentisch, erst recht, weil die Darsteller über die Dialogzeilen hinaus Einblicke in das Seelenleben ihrer Charaktere offenbaren, besonders Will Poulter als regelkonformer Kontrollfanatiker und die Anführerposition (Darsteller Aml Ameen) stechen neben der Hauptfigur hervor. Wichtig und gelungen sind die bedrohlichen Bewohner des Labyrinths, eine Art mechanisches Spinnen-Skorpion-Zwitterwesen, welche trotz ihrer offensichtlichen CGI-Herkunft den nötigen Grusel als Counterpart zur trügerischen Idylle der sonnenbeschienen Oase herauf beschwören können. Aus dieser interessanten Mixtur folgt schnell eine starke Dramaturgie, die mit konstant hoher Spannung die vielen und immer weiteren offenen Fragen und ihre mögliche Beantwortung in den Mittelpunkt stellen und dabei immer verworrener werden, was dank des starken Bezugs zu Thomas schnell zum Miträtseln einlädt. Verblüffend ist, dass Ball es mit den Actionmomenten nicht übertreibt und sie sehr sinnig und effizient einsetzt sowie dank der schnellen und dynamischen Kameraführung von Enrique Chediak bei den Verfolgungsjagden im Labyrinth ironischerweise die Raumorientierung nie verloren geht. Toll auch, dass die Todesfälle unter den Jugendlichen mit ordentlich Wucht und Härte inszeniert sind, womit die Bedrohung deutlich kräftiger und relevanter erscheint als bei vergleichbaren Franchise-Konkurrenten, nicht zuletzt dank des treibenden Scores von John Paesano, der nur in ruhigeren Momenten etwas zu unpassend kitschig wirkt.

So gelungen die lange aufrecht erhaltene Rätselspannung auch aufgebaut sein mag, so schade ist es aber auch, dass durch den frühen Einschub klarer Science-Fiction-Elemente die etwaigen Zusammenhänge immer schneller ihren mystischen Touch verlieren und die große Antwort nach der Auflösung so zu früh in ihren Grundzügen erahnbar wird. Die tatsächliche Entlarvung der Geschehnisse in und um das Labyrinth in den abschließenden 30 Minuten wirkt dementsprechend (trotz Nähe zur Romanvorlage) wie ein (auch inszenatorisch) eilig herbei fantasierter und aus Genreklassikern zusammengewürfelter Flickenteppich, der dann recht schnell durch seine gelangweilte, fast nebensächliche Präsentation schon wieder so banal wie egal wirkt, dass sich der Film ein weit offeneres Ende gerne hätte trauen dürfen. Da hilft es auch nichts, dass Ball versucht, dieses post-apokalyptische Konstrukt noch schnell zu einer Jugendmetapher umzustülpen (da auch die kommenden Generationen sich nach dem Verlassen des unschuldigen pubertären Entdeckungstreiben mit den übriggebliebenen Problemen der Vorwelt rumschlagen müssen). Doch nicht zuletzt, weil "Maze Runner" bis zu diesem Punkt großen Spaß gemacht hat und ja bereits im Vorfeld durch die recht spät integrierte einzig weibliche Person (gespielt von Kaya Scodelario) andeutete, dass er als Auftakt zu etwas größerem gemeint zu sein, mag man die etwas schludrige Endphase verzeihen, zumal das abschließende Schlussbild noch einmal eine gewaltige Atmosphäre entfaltet, die als Appetizer für ein kommendes Sequel an sich genügen wird.

Fazit: "Maze Runner" funktioniert als packende Jugendparabel, vorlagengetreue Romanadaption sowie als dystopischer Sci-Fi-Endzeitfilm, und wird dabei allen Ausrichtungen vollkommen gerecht, weshalb Balls Regieeinstand als verheißungsvoll bezeichnet werden darf. Das schwache Ende trübt die eigentlich komplexe Story im Nachhinein leider enorm, und das Gefühl, in Wahrheit nur das Intro für eine ganz andere Geschichte gesehen zu haben, hinterlässt einen faden Beigeschmack, auch wenn das Potential der Fortsetzung vielversprechend ausfällt.

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Trekathlon Ocho: To borgly go where no one has gone before!

Beitrag von Wallnuss » 01.11.2016, 17:08

Star Trek: Der erste Kontakt

1966 erblickte Gene Roddenberrys "Star Trek" auf den TV-Bildschirmen das Licht der Welt. 30 Jahre später, Mitte der 90er Jahre, befand sich die Begeisterung der "Trekkies" weltweit auf einem neuen Höhepunkt. Mit "Deep Space Nine" war die mittlerweile dritte Fernsehserie des beliebten Franchisese auf Erfolgskurs, während mit "Raumschiff Voyager" bereits der nächste TV-Ableger seine Premiere feierte. Und im Kino hatte sich die Crew der "Next Generation" rund um Patrick Stewart alias Captain Jean-Luc Picard längst bewiesen und steuerte nun auf ihren ersten vollkommen emanzipierten Leinwandauftritt zu. Wie zuletzt im überaus hoch geschätzten "Der Zorn des Khan" griffen die Drehbuchautoren Ronald D. Moore und Brannon Braga für den Plot-Aufhänger auf eine Handlung der Serie zurück: Die Borg (bekannt aus dem TV-Zweiteiler "The Best of Both Worlds"), ein totalitäres nichthierarchises Gesellschaftskollektiv aus vereinheitlichten assimilierten Individuen, greift die Erde durch eine Zeitreise an und führen den einst von den Borg psychisch stark verwunderten Picard wie auch das Franchise selbst an den Rand von Moral und Idealen, an den Rand von Gene Roddenberrys Visionen.

Mit Jonathan Frakes, der selbst als Commander Riker ein Mitglied der Crew der Enterprise ist, saß bei "Der erste Kontakt" merklich ein waschechter "Star Trek"-Kenner auf dem Regiestuhl. Auf eine große Einleitung oder Herleitung der Serienvorgeschichte rund um Picards Konflikt mit den Borg geht Frakes kaum ein, setzt sie als bekannt voraus und startet überstürzt ins neue Abenteuer, hält sich auch später nie mit Erklärungen auf. Dafür belohnt er den aufmerksamen "Star Trek"-Zuschauer mit vielen Anspielungen und Querverweisen, die in dieser detaillierten Fülle einmalig sein dürften. Ein ganzer Subplot, rund um seinen Riker sowie Troi und LaForge dreht sich beispielsweise um Dr. Zefram Cochrane, der 2063 den ersten Warp-Flug der Geschichte durchführte und so den titelgebenden ersten Kontakt zwischen den Menschen und außerirdischen Lebensformen herstellte. Cochrane (der Hardcore-Trekkies noch aus der Episode "Metamorphosis" aus der Original-Serie von 1967 bekannt sein könnte), wunderbar gespielt von James Cromwell, ist jedoch das genaue Gegenteil jener Lichtgestalt, von der zukünftige Geschichtsbücher erzählen werden. Als gealterter Alkoholiker bekommt er es regelrecht mit der Angst zu tun, als er von seinem späteren Schaffen erfährt und ergreift die Flucht. Dass er LaForge unterdessen fragt, ob man im 24. Jahrhundert noch aufs Klo geht (tatsächlich gibt es in der Star Trek-Historie nur einmal eine Toilette zu sehen) und zum ersten Mal die Formulierung "Star Trek" direkt benutzt, beweist nur zusätzlich: "Star Trek" kann Selbstironie!

Dieser vorzüglichen Nebenhandlung auf der Erde stellt Frakes die wesentlich wichtigere Geschichte gegenüber: die langsame Assimilierung der Enterprise durch die Borg. Routiniert versteht Frakes es dabei, die Borg langsam in bester Horror-Tradition anzutriggern, bis es zur handfesten Konfrontation kommt. Die Borg und ihr Verzicht auf jede Individualität, sie erweisen sich schnell als ein Spiel mit Urängsten und erinnern in ihren langsamen Bewegungen nicht von ungefähr an Zombies. Frakes nutzt die Elemente des Horrorfilms und will sie mit den Eigenschaften eines Actionfilms kombinieren - eine Kombo, die leider bereits relativ früh erhebliche Schwachstellen aufweist, auch, weil Frakes zu sehr bei großen Vorbildern kopiert. Eine (toll getrickste!) Raumschlacht à la "Krieg der Sterne" hier, ein wenig "Terminator"-Szenario dort, überall deutliche Spuren der "Alien"-Filmreihe. Frakes verliert sich alsbald in einer Fülle an Action- und Gewaltszenen, verpasst es aber, dem einfallslosen Zeitreise-Plot eine Dramaturgie zu verleihen, vergisst seine Charaktere oft völlig. Michael Dorn darf als Klingone Worf nur mürrisch blickend durch die Gegend stolzieren, Androide Data (der wie immer herrliche Brent Spiner!) wird für ein paar schwach geschriebene Dialogzeilen unnötig lange und konstruiert aus dem Spiel genommen. Die Actioninszenierung pendelt zwischen passabel bis ungenügend. Höhepunkt ist sicher ein Ausflug in die Schwerelosigkeit, der aber viel zu lange dauert, die Gefechte an Bord der Enterprise leiden unter ihren unbeweglichen Choreographien und noch viel massiver an Frakes Inszenierung, die trotz gehetzter Erzählweise viel zu statisch lange Einstellungen einfallslos mit ein paar Totalen kombiniert.

Dabei bleiben die eigentlichen Inhalte und Werte von "Star Trek" oft genug völlig auf der Strecke. Stets ging es in der Utopie Roddenberrys (gerade in "Next Generation") um den Wert des Lebens an sich und um die Toleranz zwischen verschiedenen Kulturen, um die Akzeptanz des Fremden und manifestiert im Charakter Picards auch um die Macht des Pazifismus. Eine Grundhaltung, die Frakes dem Spektakel nachgebend leichtfertig opfernd, wissend für dieses Vorhaben viele Gegebenheiten der Serie in einen neuen Kontext setzen zu müssen: Die kybernetischen Borg erhalten mit Alice Krieg eine Königin als Oberhaupt, die aus dem kollektiven Bewusstsein plötzlich ein diktatorisch-unterjochendes Regime werden lässt und damit leider die doch recht komplexe Ursprungsidee der Borg-Rasse zu Gunsten eines dramaturgisch enorm vereinfachenden Rahmens für ein entsprechendes Schlussgefecht simplifiziert. Genauso zweifelhaft erscheint die Charakterisierung Picards. Ein zweischneidiges Schwert, denn wenn eine Qualität des ersten Kontakts neben der musikalisch hervorragenden Arbeit Jerry Goldsmiths unbestreitbar ist, dann die überaus fesselnde und atemberaubende Performance Stewarts, der die im Film geäußerte Captain Ahab (ein Verweis auf Herman Melvilles Literaturklassiker "Moby Dick") Assoziation absolut schlüssig verkörpert. Doch hat dieser Amokläufer Picard kaum etwas mit seinem Serienpendant zu tun, sein PTBS-Verhalten erschreint regelrecht widersprüchlich im Hinblick auf Folgen wie "I Borg", die längst einen den Borg gegenüber deutlich toleranteren (und damit mehr im Geiste "Star Treks" stehenden) Captain etabliert hatten.

Fazit: Sinnbildlich für Frakes Regiedebüt steht eine Sequenz, in der Picard die Utopie der Föderation als eine Gesellschaft erläutert, in der Geld und Macht nicht mehr im Interesse der Menschheit stehen, sondern ihr Fortbestand als Gesellschaft, als... Kollektiv? Es scheint absurd, doch diese genannte überaus spannende Parallele lässt man im Sand verlaufen. Für einen Erstkontakt mit "Star Trek" und seinen Charakteren mag der Film uneinschränkbar zu empfehlen sein, doch stellt er für eine kurzweilige Sci-Fi-Actionmixtur den eigentlichen Geist des Franchises bewusst hintenan, sodass sich zum 30. jährigen Jubiläum die Moral der Massenkompatibilität opfern muss. Widerstand ist zwecklos!

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Beitrag von SFI » 02.11.2016, 17:39

Eine tolle Kritik, die ich mit Begeisterung gelesen habe und durchaus nachvollziehen kann. Dennoch möchte ich ein paar Anmerkungen geben, da ich beispielhalber den Fokus auf die Action für zwingend notwendig erachte. Denn sind wir mal ehrlich, Star Trek konnte bisweilen nur deshalb seine Werte so hochhalten, weil Budget und CGI-Technik nicht mehr hergaben als den Verlass auf die Autorenkunst. Das war einerseits toll, aber nach 7 Staffeln Andeutungen und ein paar schäbigen Wrackteilen im erwähnten Zweiteiler "The Best of Both Worlds", schuldeten die Produzenten den Fans verdammt noch mal diese Raumschlacht. :lol: Auch den Charakterwechsel von Picard sehe ich nicht kritisch, denn das "I Borg" Szenario hat so gar nichts mit der brutalen Assimilationsmachinerie im Film zu tun. Bei "I Borg" stand zudem Genozid!! im Raum, wohingegen die gänzlich anderen Trigger im Film medizinisch korrekt die Auswirkungen der PTBS darstellen. Schließlich heißt es in der Folge "Family" auch, dass sich Picard zwar körperlich von der Assimilation erholt hat, aber die seelischen Narben noch bestehen. Als Schlussbemerkung muss ich noch einmal auf den Abschuss der Borgsphäre eingehen, denn damit schließt sich der Kreis und Picard verantwortet dadurch den ersten Kontakt mit den Borg in der Serie.
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Trekathlon Nueve: Im Universum nichts Neues?

Beitrag von Wallnuss » 02.11.2016, 18:04

Star Trek: Der Aufstand

Mit "The needs of the many outweigh the needs of the few" sorgte Mr. Spock 1982 im zweiten "Star Trek"-Kinofilm "Der Zorn des Khan" für einen wahren Gänsehautmoment. 1998, 16 Jahre, 7 "Star Trek"-Filme und ein "Jahrhundert" später stellt der aufmerksame Zuschauer sich unweigerlich die Frage, ob Captain Picard den Worten des Vulkaniers wohl zugestimmt hätte. Als die Enterprise unter seiner Leitung erfährt, dass die verbrecherischen vom Aussterben bedrohten Son'a in Kooperation mit der galaktischen Föderation das rückständische, aber pazifistische 600 Mann kleine Volk der Ba'ku umsiedeln will, um die Ressourcen (eine eigenwillige Strahlung) ihres Heimatplaneten, die einen Jungbrunnen-ähnlichen Effekt haben, für sich zu gewinnen, zettelt der neobuddhistische Captain der Enterprise einen bewaffneten Aufstand gegen seine eigene Föderation an. Jonathan Frakes, der nicht nur erneut als Commander William Riker vor, sondern nach dem erfolgreichen "Der erste Kontakt" auch hinter der Kamera wieder seinen Platz einnimmt, fragt dabei (im offensichtlichen Rückblick auf die Besiedlungsgeschichte der Vereinigten Staaten): Welches Recht haben wir, uns in die Evolution und Entwicklung einer noch so kleinen Kultur einzumischen?

Dabei appelliert Frakes, der als "Star Trek"-Veteran mit den Grundzügen der langlebigen Reihe bestens vertraut ist, an den aufgeklärten Humanismus, der schon Gene Roddenberrys kultige Originalserie der späten 60er Jahre prägte. In der Tat ist das moralische Dilemma, von welchem "Der Aufstand" erzählt hoch interessant: Die Ba'ku, welche freiwillig auf ihre einstigen technologischen Errungenschaften zugunsten eines ökologischen Agrarwesens verzichteten, bekommen es bei den Son'a mit Feinden zu tun, die durch ihre widerrum offene Missachtung der Natur ihre missliche Lage freilich selbst erzeugt haben. Die esorterisch angehauchte Paradiessituation der Ba'ku fängt Frakes vom Intro an mit betonter Romantik ein, filmt immer wieder über die ruhig vor den Kameralinsen liegende Idylle und wenn Picard, Worf und Data später die Ba'ku über die Berge in Sicherheit vor den Drohnen der Son'a treiben, erinnert die ikonographische Inszenierung schnell an die biblische Exodus-Geschichte der Befreiung des Volkes Israels. Ohne sonderlich viel Aufregung zu erzeugen, weiß Frakes diesen Plot formal durchschnittlich aufbereitet durchaus mit einer soliden Dramaturgie zu versehen. Alle Mitglieder der Enterprise bekommen derweil zumindest je einen besonderen Moment versehen (was mal (Datas Konfrontation mit der Unschuld eines Kindes, Picards und Worfs Gesangseinlage aus "H.M.S. Pinafore") gelingt und mal (Worfs Pubertätsprobleme, Rikers Steuerung der Enterprise per Videospiel-Joystick) arg ins Lächerliche abdriftet).

Dennoch muss man das eigentliche noble Anliegen der Macher als gescheitert beurteilen. Inhaltlich ist "Der Aufstand" leider keinesfalls überzeugend, schlimmer noch, er verfällt bei aller erhobener Political Correctness alsbald in eine Moralvorstellung, die mit absurdem Pathos noch minder charakterisiert ist. Wenngleich sich die Regie alle Mühe gibt, die Son'a so verachtenswert wie möglich zu charakterisieren, so sehr fällt doch auf, dass man der eigentlichen (selbstauferlegten!) Problematik damit nur ausweicht. Nimmt man die Ausgangslage ernst, so muss sich unweigerlich die Frage gestellt werden, welches Privileg die Ba'ku auf ihre Unberührtheit haben, beziehungsweise weshalb die vollkommene Erhaltung der Unschuld ihrer Kultur höher privilegiert sein sollte als die Rettung einer anderen Kultur, welche einzig und allein einen minimalen Verlust ihrer Lebensweise bedeuten würde. Die Skurrilität ist, dass Frakes diese Fragen gar nicht erst stellt, sondern sofort Stellung bezieht, dass er an einer tatsächlichen Auseinandersetzung mit dem Kernthema gar nicht interessiert scheint, dieses Desinteresse aber auch nicht durch etwas gegensätzliches auszugleichen scheint. Die oberflächlich angekratze Idee der Verführung der ewigen Jugend wirkt wie aus einem Poesiealbum entnommen, die Actionszenen lustlos zu dem Zweck integriert, um die Erzählung dieser belanglosen Geschichte im Kinoformat überhaupt zu rechtfertigen. Gleichzeitig verschwendet die Erzählung in den eh knappen 103 Minuten viel Zeit für die angedeutete Romanze zwischen Patrick Stewarts Picard und Donna Murphys Anij, die in ihrer einfallslosen Kitschigkeit eine gewaltige Plattheit bleibt und den Akteuren nicht viel abverlangt.

Bezüglich der Darsteller bleibt zu sagen, dass die Stammbesatzung (etwa Michael Dorn, Brent Spiner oder Gates McFadden) einen gewohnt souveränen Job tut, die erneute Aufmachung Stewarts als Actionheld nach "Der erste Kontakt" im überproportionalen Showdown aber ein wenig grotesk anmutet. Schade ist, dass Frakes sich selbst wie auch Marina Sirtis und LeVar Burton nur überlange Cameo-Auftritte zumutet, so wie der eigentlich passabel ausgearbeitete Schurkenpart darstellerisch darunter leidet, dass F. Murray Abraham unter einer dicken Maske wenig von seinem mimischen Talent offerieren kann. Immerhin: Anthony Zerbe weiß als korrupter Sternenflotten-Admiral einen erfreulichen Part konsequent auszuspielen. Tatsächlich ist die Idee einer kulturpessimistischen Sicht auf die sonst stets liberal-opti­mistische und expan­sio­nis­ti­sche Utopie Roddenberrys verlockend und vielversprechend. Schade, dass erstens als Grundlage hierfür die Dominion-Kriege herhalten, mit denen Nicht-Serienkenner von "Star Trek: Deep Space Nine" kaum vertraut sein werden, und sich zweitens dieser Nebenaspekt am Ende schnell in allgemeines Wohlfallen auflöst, weil Frakes viel zu früh wieder auf die Bremse tritt. Eine besondere Würdigung erfahren muss jedoch Komponist Jerry Goldsmith: Nach dem er bereits für den ersten, fünften und achten Film der Reihe ("The Motion Picture", "Am Rande des Universums", "Der erste Kontakt") großartige musikalische Themen kreierte, brilliert seine nun vierte Franchise-Arbeit für "Der Aufstand" durch begeisternswerte Kompositionen und musikalische Verknüpfungen wie Weiterentwicklungen von Motiven der Vorgänger, und ist zweifellos eine der besten Arbeiten in seiner langen erfolgreichen Karriere (etwa "Planet der Affen" oder "Alien"). Chapeau!

Fazit: Das erstmals bei den Weltraumszenen komplett per CGI realisierte "Star Trek"-Abenteuer bietet eine nüchtern und träge inszenierte Erzählung nach klassischen TV-Serien-Standards, deren moralisierende Botschaft durch die schwachen Dialoge und einfältige Positionierung seitens der Regie wenig nachvollziehbar und aufdringlich wirkt. Die Freude über das Wiedersehen mit den Serienhelden verblasst so gegenüber lahmen Intrigen und ungenutzten Chancen.

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Beitrag von SFI » 02.11.2016, 19:08

Im Kino fand ich den noch klasse, auf DVD schon einen Tick weniger. Ich würde ihn heute zwar nicht ganz so tief wie du ansetzen, aber deine Kritikpunkte sind durchweg zutreffend. Diese schäbige Raumschlacht, bei der man das FLAGGSCHIFF zu einem lausigen Arcadegame degradierte, war schon ziemlich peinlich.
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Beitrag von Wallnuss » 02.11.2016, 19:17

SFI hat geschrieben:Diese schäbige Raumschlacht, bei der man das FLAGGSCHIFF zu einem lausigen Arcadegame degradierte, war schon ziemlich peinlich.
Das ist ohnehin echt absurd. Da ist die Enterprise-E im Vorgänger noch der Stolz der Föderation und besiegt gefühlt im Alleingang die Borg, und wird nun im Sequel auf kümmerliche Art und Weise beinahe von zwei kleinen Schiffchen vom sprichwörtlichen "Himmel" geputzt. Keine Ahnung, was man sich dabei gedacht hat, das Riker-Manöver ist auch optisch zu unspektakulär, um diesen Umstand zu rechtfertigen.

Wie siehst du Goldsmiths Arbeit für den Aufstand? Ich finde, der Maestro hat sich hier durchweg selbst übertroffen und einen wirklich beeindruckenden Score geschaffen, der die bis dato beste filmmusikalische Arbeit für die Reihe (was ebenfalls Goldsmiths Werke für The Motion Picture sein dürften) sogar noch einmal in den Schatten stellt. Für mich der beste Trek-Soundtrack und im Hinblick auf die möchtegern pompösen Orchester-Orgasmen heutiger Blockbuster eine wahre Offenbarung!

PS: Gibt es eigentlich einen näheren (bekannten) Grund dafür, dass in Insurrection zum ersten Mal nicht der obligatorische Logbucheintrag des Captains erfolgte?

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Beitrag von SFI » 02.11.2016, 19:32

Vielleicht dachte man sich ja dabei, dass die potentiellen Allierten für den Dominion Krieg besonders potent erscheinen müssen, da der Verrat der Werte für ein paar Tontauben ziemlich albern wäre. Wie dem auch sei, diese lächerlich stark schwankende Stärke der Enterprise gab es ja auch in der Serie genug. Ich erinnere mich noch an die Folge "Tin Man" aus Staffel 3, in der ein romulanischer Warbird mit 2-3 Disruptorstößen die Schilde der Enterprise zum Kollabieren bringt, derweil man sich ein paar Folgen zuvor (Yesterday's Enterprise) noch gegen 3 klingonische Birds of Prey, wohlgemerkt der größeren K-Vort Klasse, behauptete. :lol:

Beim Score bin ich ganz bei dir, Ba'ku Village (beispielhalber) als Opening Sequenz ist toll, aber imo nicht ganz so gelungen, wie die aus Trek 8. Teil 6-9 habe ich deswegen auch auf CD.
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Auf der Suche nach dem Farbenspiel des Winds...

Beitrag von Wallnuss » 24.11.2016, 12:18

Pocahontas

Wie sehr darf man sich bei einem Disney-Zeichentrickfilm an historischer Genauigkeit stören? Und wie sehr sollte sich ein für Kinder gedachtes buntes Filmvergnügen um Authenzität überhaupt bemühen? Diese Frage muss sich der Micky-Maus-Konzern 1995 ebenfalls gestellt haben, denn zum ersten Mal in der langlebigen Geschichte der spielfilmfüllenden Kinderunterhaltung stand bei "Pocahontas" eine wahre Begebenheit Pate, und dazu noch eine aus einer wenig freudvollen Zeit der amerikanisch-britischen Vergangenheit: Die titelgebende Häuptlingstochter des Stammes der Virginia-Algonkin trifft auf den englischen Kolonisten John Smith und versucht, einen friedlichen Weg der Ko-Existenz zwischen ihren Völkern zu erzielen. Für die Disney-Variante eine simple Vorlage, um die üblichen Werte der Toleranz, des Pazifismus und der Kraft der unsterblichen Liebe pädagogisch wertvoll an die kleinsten Zuschauer zu bringen. Für die älteren Kinogänger bleibt ein unangenehmer Beigeschmack: Heiligt der Zweck die Mittel?

Ob den Disney-Machern nur ein Jahr nach "Der König der Löwen" direkt wieder der Sinn nach den Werken des Großmeisters William Shakespeare stand? War beim Löwenkönig "Hamlet" als Vorlage leicht auszumachen, so ist es hier nicht minder schwierig, in der Erzählstruktur der (fiktiven) Romanze zwischen Pocahontas und Smith die Parallelen zu "Romeo & Julia" zu erkennen, auch deshalb, weil auf dem Liebesdrama der beiden der Hauptfokus der Erzählung liegt und nicht wie üblich (etwa beim Disney-Vorgänger) als Dreingabe erfolgt. Funktionieren tut das durchaus, vor allem weil Pocahontas eine erstaunlich selbstbewusste, emanzipierte Frau ist, die ihr Schicksal selbst bestimmt und den Angebeteten nicht braucht, um sich zu definieren, was Disney im überraschenden Ende sogar konsequent durchhält. Alle anderen Charaktere haben hier weniger Glück: John Smith, der eigentlich die interessanteste Figur sein müsste, da er es ist, der seine zivilisierte Überheblichkeit zu hinterfragen lernt, bleibt arg oberflächlich, während sonstige Nebencharaktere (etwa der vom jungen Christian Bale gesprochene Thomas, Pocahontas Vater oder ihre beste Freundin) auf eine Handvoll Dialogzeilen kommen. Dramaturgisch arg schwach wirkt besonders der Mittelteil der eh nur 80 Minuten kurzen Handlung daher, weil der Villain alias Governor Ratcliffe selbst für Disney-Standards ein farbloser, schwacher Charakter ist, den man mit einem Scar kaum zu vergleichen wagt.

Hier liegt das Problem von "Pocahontas": Sicherlich könnte man darüber hinwegsehen, dass die Regisseure Eric Goldberg und Mike Gabriel die Geschichte schon arg verfälschen, um ihre naiv-idealistische Botschaft an den kleinen Mann und die kleine Frau zu bringen. Doch "Pocahontas" ist zu naiv, zu moralisierend, zu unsubtil. Gelang es Disney sonst oft, trotz ihrer eigentlich stets simplen Moralfabeln eine gewisse Doppelbödigkeit zu pflegen, geht diese der kitschigen Indianer-Handlung völlig ab. Verpacken andere Disney-Filme ihre Aussagen in klugen Metaphern, in bezaubernd schönen Bildern, wirft "Pocahontas" einem sein Anliegen flach entgegen: "They're not like me, this means they must be evil" ist da erschreckenderweise noch eines der am wenigsten plakativen Beispiele. "Pocahontas" richtet sich an ein sehr junges Publikum, doch bleibt fraglich, ob es dieses wirklich erreichen wird. Der sehr eckige, kantige und detailarme Zeichenstil, der den Protagonisten wohl eine gewisse optische Reife anhaften soll, wirkt zu farb- und leblos, und lässt die durchaus amüsanten Momente im "harten" visuellen Szenario wie Fremdkörper wirken. Überhaupt: Die komödiantischen Einschübe des Waschbären Meeko und Kolibris Flit sind mal amüsant, oft aber durch ihre Vielzahl zu penetrant und halten den eh schon kurzen Film mehr auf, als dass sie ihm nützen, schaden damit sogar der Dramatik der Haupthandlung.

Betrachtet man einen Disney-Film, muss man natürlich auf die Songs eingehen und spricht man von "Pocahontas", so summt vermutlich fast jeder Zuschauer direkt wieder "Colors of the Wind" vor sich hin. Zurecht, denn was der Disney-erfahrene Alan Menken hier gezaubert hat, ist eine fantastische Musical-Einlage, deren Visualisierung ebenfalls der Höhepunkt des sonst eher biedernen Films ist. In diesen 4 Minuten stimmt plötzlich alles: der optische Einfallsreichtum, das Gefühl, die Message. Packend vorgetragen ist "Colors of the Wind" eines der Highlights im Disney-Kosmos, umso schockierender, wie schwach und belanglos der restliche musikalische Output ausfällt. Die sehr gleich klingenden Melodien bleiben im Gedächtnis keinesfalls haften, und sind textlich dazu erschreckend unlyrisch. Erschreckend zudem, dass die Regie gerade in dieser Kerndisziplin Disneys versagt, nämlich die Lieder in einen sinnigen Kontext innerhalb des Öko-Märchens zu setzen, meist wirken sie eher deplatziert und ungelenk ins Plotgerüst integriert, auch wenn "Savages" immerhin in eine interessante Einstellung mündet, in der "Pocahontas" ein berühmtes Gemälde von Alonzo Chappel deutlich zitiert. Ästhetische Einfälle dieser Art hätte es deutlich mehr gebraucht. Die Sprecherleistungen sind dafür durchgehend akzeptabel (wenngleich Mel Gibson mit seinem Akzent auf Smith etwas befremdlich wirkt), während man wie beim Thema der Verfälschung der Historie über die spirituellen und esoterischen Elemente des Films streiten kann. Linda Hunts Rolle als sprechende Weide fügt sich absolut organisch in die Geschichte ein, aber nicht immer gelingt die Balance dieser Elemente. A propos Balance: Wohl kaum ein anderer Disney-Film setzt so sehr auf die suspension of disbelief und überstrapaziert seine Cartoon-Physik bereits im Intro. Über die Sinnhaftigkeit dieser Einschübe kann man geteilter Meinung sein, verwirrend sind sie im Hinblick auf den realistischen Zeichungsstil aber dennoch.

Fazit: Wenn "Pocahontas" am Ende den Frieden zwischen den Indianern und Kolonisten glorifiziert, dann ist das natürlich reichlich heuchlerisch im Hinblick auf die spätere Assimilierung ganzer Stämme durch den weißen Eindringling. Ob es wirklich nötig war, für "Pocahontas" auf reale Ereignisse zurückzugreifen, ist durchaus kontrovers zu sehen und für Historiker ein gefundenes Fressen, um den Kinderfilm zu zerlegen. Leider ist der Disney-Streich auch ganz unabhängig von dieser Sinnfrage recht belanglose und ideenarme Einmalunterhaltung, die außer ihrer zumindest meist geglückten Darstellung der Titelfigur und dem famosen Filmsong "Colors of the Wind" weit hinter den Erwartungen von Jung und Alt zurückbleibt und damit qualitativ seiner Kontroverse gar nicht gerecht wird.

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Die Erkenntnis ist nur ein Resultat der Ankunft...

Beitrag von Wallnuss » 30.11.2016, 21:37

Arrival

Es ist ein wesentliches Merkmal der postmodernen Kunst im Film, dass sie nicht nur eine große Intertextualität birgt, sondern sich maßgeblich der Praxis des Zitierens verschreibt und eigentlich niedere Genres aufwertet, klassische Genreparameter außer Kraft setzt und in einer fast schon exzesshaften Herangehensweise eine demonstrative Künstlichkeit zur Schau stellt, die Arthouse-Richtungen mit Popeinflüssen vermengt. Wenn im 2016er Sci-Fi-Film "Arrival" 12 karge Raumschiffe sich an verschiedensten Orten der Welt wie zufällig positionieren, eine weltweite Massenpanik auslösen und nur eine Handvoll fachbezogener Experten zur Hoffnung der Menschheit werden, erinnert dies an zahlreiche Invasionsfilme, innerhalb der jüngeren Filmgeschichte am ehesten an Roland Emmerichs 20 Jahre zuvor erschienenen bildgewaltigen "Independence Day". Doch obgleich das Drehbuch zu "Arrival" auf der Kurzgeschichte "Story of your Life" des Autoren Ted Chiang basiert, ist es auch ein Cocktail aus unzähligen Genreeinflüssen von Visionären wie Isaac Asimov oder Philip K. Dick bis zu Harlan Ellison und den oft trashigen TV-Episoden der 60er Jahre Serie "Twilight Zone".

Der viel beachtete Regisseur Denis Villeneuve verneigt sich in seiner etwa 2 Stunden langen Erzählung immer wieder vor der klassischen philosophischen Science-Fiction, zitiert und plagiiert sich durch einen Berg an Genrevorbildern, ist in seiner schlussendlichen Ausrichtung aber am ehsten mit dem ebenfalls 2016 erschienenen impressionistischen Schneewestern "The Revenant" vergleichbar. Wie Alejandro G. Iñárritu predigt auch Villeneuve die suggestive Kraft der Entschleunigung in seinen Bildern und setzt zwischen dem extremen Kontrast von beängstigenden Größenverhältnissen und klaustrophobischen Engen stets das menschliche Handeln in den Vordergrund. Villeneuve fokussiert sich in exzersiver Auskostung von Ruhe und Intensität ganz auf Amy Adams starkes Minenspiel als Protagonistin, deren persönliche Entwicklung (die durch eine in der Exposition vorgebene Fallhöhe bereits vorher bestimmt wird) auf ganz intime Art mit dem Erstkontakt zu den Außerirdischen verbunden ist, auch wenn sich dieses labyrinthisch erzählte Geheimnis erst nach und nach narrativ entwirren lässt. "Arrival" tritt kompakt entschlankt auf, reduziert sich voll und ganz auf seine Aktuerin. Das Erleben der Umwelt des Kontakts mit einer außerirdischen Zivilisation bleibt nur am Rande thematisiert, das weltpolitische Poltern der Staatsoberhäupter verkommt zum nur seiner Notwendigkeit wegen enthaltenen Spannungskatalysator, spielt für die Regie jedoch keine besondere Rolle.

Lieber stellt "Arrival" die großen Fragen nach dem wahren Kern von Menschheit in einem Universum, in dem "wir" nicht mehr die einzigen denkenden Individuen sind und betont den Wert der Sprache und nonverbalen Kommunikation. Selbstredend will Villeneuve dies als Essay-haften Kommentar zur derzeitigen gesellschaftlichen Globalisierungsskepsis wissen, wenngleich der Mehrwert seiner recht konstruiert erscheinenden "Moral von der Geschicht'" zwar den Vorbildern gemäß frontal präsentiert wird, damit aber auch an Wirkung verliert. Spannung weiß er durch die permanente Unwissenheit von Zuschauer und filmischen Bezugspersonen zu erzielen. Das Ziel der extraterrestrischen Touristen bleibt lange im Verborgenen, das erste Aufeinandertreffen von Mensch und "Heptapoden" gerät gar zu einer ambivalent gehaltenen Begegnung, bei der auf beiden Seiten die Gleichberechtigung der jeweiligen Wesen hinterfragt scheint. Mit zwei Wissenschaftlern im erzählerischen Mittelpunkt bleibt auch "Arrival" trotz zwischen durch eingeschobenen Thrill-Sequenzen ein nüchtern gestalteter und bebildeter Film, der in seinen naturalistischen Panoramaaufnahmen fast schon wieder steril erscheinen mag. Wie ein Zugeständnis an das Massenpublikum wirkt die Herleitung der einzigen obligatorischen Detonation im Film, wobei man hier genauso auch deuten könnte, Villeneuve wollte das Leitmotiv der Kommunikation durch eine filmisch gängige Sprache nutzen, um mit dem gemeinen Kinogänger in Kontakt zu treten. Tatsächlich bleibt sein Film stets ein von außen betrachtetes Konstrukt ohne gewollten emotionalen Zugang, dass selbst in seinen zwischenmenschlichen Momenten bis auf den etwas erzwungenen selbstironischen Touch der Figur von Marvel-Star Jeremy Renner eher kalt und leblos bleibt.

Passend dazu übertönt Komponist Jóhann Jóhannsson mit seinem Soundtrack den Film eher, als dass er ihn kommentiert oder unterstreicht. Einen Kommentar erlauben sich Musik oder Regie nur durch Auslassung eines eben solchen, während sich ihre Spielereien zum reinen Selbstzweck einen Einfluss auf den Betrachter bemächtigen. Immer später erst formuliert "Arrival" langsam und (zu?) selbstbewusst sein eigentliches Anliegen, will sich weniger als Film über Kommunikation als über die Zeit verstehen und über das Schicksal beziehungsweise die Selbstbestimmung des Menschen im Falle einer konkreten Prophezeiung. Die damit einhergehenden tonalen Anklänge im letzten Akt wirken jedoch nicht ausreichend vorbereitet und ihrer offensiven Enthüllung zu aufgelöst und eindeutig. Villeneuve verpasst die Chance, die von ihm erwähnte Sapir-Whorf-Hypothese, nach der Denkmuster von Sprachen beeinflusst werden, früh genug als starkes Motiv zu etablieren, um sich zum Abschluss eine Offenheit zu bewahren, die aus "Arrival" einen nachhallenden Film mit Wiederschauwert gemacht und der gesetzten Sperrigkeit ein überzeugendes Subjet verliehen hätte. So wirkt das eindeutige Ende wie ein Kompromiss und erinnert an den Moment des Films, in dem Renners Charakter den beiden Aliens die Namen Abbott und Costello gibt, in Anlehnung an das legendäre Komiker-Duo der 1940er. Es zeigt sich einerseits der Drang, eine zwanghafte Fixierung unterzubringen, wie andererseits auch der Willen, durch einen (durchaus) geschickten Ausweg die eigentlichen Wahrheiten zu kostümieren oder in Villeneuves Fall zu entkleiden.

Fazit: "Arrival" ist ein interessanter Genrebeitrag des kanadischen Regie-Kritiker-Lieblings mit einer starken Hauptdarstellerin, der in bester Tradition postmoderner Kunst wie ein eigenwillig arrangiertes Potpurri zahlreicher Sci-Fi-Einflüsse daherkommt und für den Genrefan somit durch seine unzähligen Referenzen (besonders eindeutige filmische Vorbilder finden sich in Andrei Tarkowski und Stanley Kubrick) bereits den Kinogang wert ist. Alle anderen stehen vor einer gleichsweise nüchternen wie analytischen Dekonstruktion im Spiel mit den Erwartungen, die sich selbst im Schlussteil deutlich wichtiger und innovativer nimmt, als sie tatsächlich ausfällt.

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