Das jüngste Gericht

Originaltitel: Armageddon
Herstellungsland: USA
Erscheinungsjahr: 1998
Regie: Michael Bay
Darsteller: Bruce Willis, Billy Bob Thornton, Ben Affleck, Liv Tyler, Will Patton, Steve Buscemi, William Fichtner, Owen Wilson, Michael Clarke Duncan, Peter Stormare, Udo Kier, Ken Hudson Campbell, Jessica Steen, Keith David, Chris Ellis, Jason Isaacs u.a.
Der kleine Jimmy sitzt in seinem Zimmer. Es ist dunkel, nur der Lichtkegel der Schreibtischlampe wirft groteske Schatten auf Gesicht und Arme des Jungen, entblößt blaue Flecken und Narben, die allenfalls körperlich irgendwann wieder heilen werden; seelisch wird dies nie geschehen.
Es klopft an der Tür - zaghaft, vorsichtig. Eine Stimme schallt dumpf durch das Holz: “Jimmy? Darf ich reinkommen?”
Tom nimmt das Schweigen seines kleinen Bruders als Einladung und betritt mit zögerlichen Schritten das Zimmer. Als er über die Schwelle getreten ist, schließt er leise, aber zügig die Tür. Er stößt einen kaum hörbaren Seufzer aus und nähert sich Jimmy, der mit gesenktem Kopf am Schreibtisch sitzt.
Jimmy bemerkt eine tröstende Hand auf seiner Schulter. Er erwidert die Geste, indem er leicht den Kopf hebt und sich bemüht, ein Lächeln über die leidgeprüften Mundwinkel zu bringen. Tom spricht Jimmy gut zu, sagt, dass alles wieder gut wird. Wenn ihr Vater es noch einmal wagen würde, ihn anzurühren, werde Tom handeln. Tom meint es gut. Er will Jimmy Hoffnung machen. Doch Jimmy ahnt Böses. Er befürchtet, dass alles nur noch schlimmer wird...
Das vielleicht wichtigste Werkzeug, dessen sich ein Filmemacher bedienen kann, ist die Emotionalität. Ganze Genres, allen voran das Drama, appellieren an diese menschliche Eigenschaft und küren sie zu ihrem ersten Ziel, das mit verschiedensten Mitteln erreicht werden will.
Um wiederum Emotionalität zu erreichen, bedarf es einer Identifikation mit einem Protagonisten oder einer Situation. Wie in der oben geschilderten, klischeebelasteten Ausgangslage für ein Drehbuch zu einem Familiendrama veranschaulicht, muss der Zuschauer sich, um mit den Figuren zu leiden, in die jeweilige Situation hineinversetzen können. Er gerät in einen Abstraktionsprozess, der in der berühmten Frage “Was wäre, wenn ich in dieser Situation wäre?” mündet. Manchmal mit Geschick und Feingefühl, manchmal auch relativ plump schaffen Filmemacher in jeder Generation erneut, selbst für noch so ausgelutschte Genres ihr Publikum zu finden - die romantische Komödie hat ihr Überleben wohl einzig und alleine diesem Umstand zu verdanken.
Tja, Jerry Bruckheimers Lieblings-Bombastfilmer Michael Bay braucht sowas nicht, um auch im Jahr 1998 mal wieder DEN Blockbuster der Saison zu stemmen, der jede Konkurrenz in Grund und Boden stampft. Bay hält sich mit Identifikations-Firlefanz gar nicht lange auf, denkt längst in größeren Dimensionen. Wohl nicht ganz zufällig von Universal produziert, umgeht “Armageddon” ganz einfach den Identifikationsprozess: Was, wenn ein Ereignis dem Plot zugrundegelegt würde, das nicht nur theoretisch jedem passieren könnte, sondern das tatsächlich jedes Lebewesen auf dem Planeten betrifft? Globale Zerstörung - die ultimative Vernichtung der Erde! Größer geht nicht. Identifikation adé; sollte dieses Szenario - das, wie uns der Vorspann per Erdkugelanimation im Zeitraffer veranschaulicht, jedenfalls nicht undenkbar ist - sollte es tatsächlich passieren, müssten wir uns nicht mit Mister X aus Y identifizieren. Wir wüssten: Wir selbst in unserer aktuellen Situation wären am Arsch - und könnten nichts dagegen tun.




Man kann ewig darüber lamentieren, ob nun Bays Überspektakel dem deutlichen Kassenerfolg über Mimi Leders Konkurrenzprodukt “Deep Impact” auch einen Erfolg in Sachen Filmqualität nachfolgen ließ - tatsächlich nehmen sich beide Filme nicht gerade viel darin, sich beim Produzieren eines richtig teuren Haufens von Unfug zu übertreffen. Man kann dem kommerziellen Gewinner des Kräftemessens aber immerhin unterstellen, dass er auf lange Distanz konsequenter seine Linie verfolgt, während sich Mimi Leder zwischen der universellen Geschichte und den Einzelschicksalen nach altem Dramenmuster einfach nicht entscheiden kann.
Nach 9/11 wäre “Armageddon” in erster Linie als Parabel auf politische Umstände verstanden worden, ein Bildnis der neuen Angst vor Terrorismus (mal davon abgesehen, dass Hollywoods Reaktion auf das veränderte Weltklima heute mit Filmen wie “Syriana” freilich viel realistischere Szenarien konstruiert); drei Jahre zuvor klang dieser Ansatz nur im Hinterkopf an. Die Blockbuster-Idee ist dem Werk in jedem Frame eingraviert. Globales Entertainment sollte es sein, und das ist es auch geworden. Mit dem Kompromiss, so ziemlich das hirnrissigste Drehbuch zur Vorlage zu haben, das jemals die Ehre hatte, mit 140 Millionen Dollar in die Tat umgesetzt zu werden - Dialoge und Logikpatzer inbegriffen, die damals einige Kritiker dazu veranlassten, den Film als etwas zu betrachten, das “...could have been written by a chimp who’s watched too much TV...” (Stephen Hunter, Washington Post). Laut, bombastisch, testosterongeschwängert und aggressiv waren weitere Attribute, die zu gerne gebraucht wurden und die es auch ziemlich gut auf den Punkt treffen, ohne dabei etwas zu unterschlagen. So wird “Armageddon” nach Emmerichs patriotischer Alien-Gegenattacke in “Independence Day” die Ehre zuteil, das zweitgrößte, zweitbombastischste und zweitunlogischste Mega-B-Movie zu sein, das der globale Mainstream je zu Gesicht bekommen hat.
Bemerkenswert ist in erster Linie nämlich die unverfrorene Stringenz, die das ans biblische “Harmagedon” angelehnte Monstrum von Kollateralverschleiß an den Tag legt. Bruce Willis kann es nicht fassen, was er hört, als er bei der NASA eintrifft. Die Pläne dieser Supergenies, die einen Mann auf den Mond geschickt haben... sie wollen ein Bohrteam auf den Asteroiden schießen, sie ein Loch bohren lassen, eine Bombe reinwerfen, wegfliegen und die Bombe per Fernzünder aktivieren, damit sich der Asteroid zerteilt und an der Erde vorbeifliegt. Und wir lachen mit Bruce Willis in Wirklichkeit nicht über diese NASA-Karikaturen, an deren Spitze Billy Bob Thornton unterfordert ist wie selten. Wir lachen über die Drehbuchautoren, die es tatsächlich gewagt haben, uns so einen Schmarrn vorzusetzen. Die Tatsache allerdings, dass sich jeder des Schwachsinns bewusst war, der hier vorgetragen wird, macht das alles doch erträglich, wenn man nicht gerade physikalische Korrektheit erwartet. Billy Bob Thornton als NASA-Chef mit zwei Plastikfliegern vor einer Gummikugel hantieren zu sehen - übrigens so, dass seine Darstellungen für den Zuschauer sichtbar sind, nicht jedoch für die Crew, die hinter der Gummikugel sitzt und gar nix von Thorntons Erklärungen mitbekommt - und ihn dann sagen zu hören, dass er ja selber wisse, dass die Proportionen Mond versus Raumgleiter nicht stimmen, das ist schon wunderbar.
Jedenfalls steckt wirklich nicht mehr hinter dem Film als dieser Plan - it’s so easy, just like this. Die Folge: Eine vorhersehbare Handlung hoch drei, aufgepumpt mit massig Action und Adrenalin, verpackt in zugegeben einzigartige Bilder und mit einer im späteren Verlauf mitreißenden Inszenierung, die einem den Atem stocken lässt. Erst beim zweiten Ansehen kommt dann die Unlogik zu Tage, die dem Film doch viel von seiner Wirkung nimmt, weil der selbstironische Ansatz nicht über die komplette Laufzeit aufrecht erhalten werden kann. Er braucht ein leicht komödiantisches Umfeld zum Blühen, und das findet er nur in der Anfangsphase der Ausbildung durch die NASA-Experten, wo Bay sich einen Spaß damit macht, all die eigenartigen Pappenheimer aus Willis’ Bohr-Crew, die verschiedener nicht sein könnten, einzeln vorzustellen. Leute wie Steve Buscemi gehören dazu, Will Patton, Ben Affleck, Owen Wilson, Michael Clarke Duncan, Liv Tyler, später dann noch William Fichtner und Peter Stormare... (fast) alles Leute, denen es vor allem an einem nicht fehlt, nämlich an Charakterstärke. Fichtner und Patton sind als Schauspieler bis heute unter Wert verkauft worden, Buscemi und Stormare sind mit die beliebtesten Nebendarsteller überhaupt, und jedem einzelnen von ihnen wird eine eigene Einleitung mit persönlichem Background gewidmet. An Charaktertiefe gewinnen die Figuren dadurch nicht, aber der wilde Mix wirkt ebenso exotisch wie sympathisch, so dass zumindest die Identifikation mit der kompletten Gruppe erreicht wird, wenn auch nicht mit einzelnen Darstellern, weshalb so ziemlich alle Tode, die von der Crew auf dem Kometen gestorben werden, relativ emotionslos verlaufen - mal abgesehen von der finalen Heulbombe, die wohl jedes “Emotio-Meter” hat ausschlagen lassen (zumindest erinnere ich mich bei jener Szene im gefüllten Kinosaal an ein leises, aber dichtes weibliches Gewimmer und Geschniefe, und auch so mancher Mann musste seiner Begleitung die Geschichte vom Gerstenkorn im Auge erzählen).




Ist die meist witzige Ausbildung, die dann immer mal wieder durch bleiern wirkende romantische Szenen zwischen Affleck und Tyler unterbrochen werden, erstmal vorbei, wird es enorm patriotisch. Zwei Gleiter mit den amerikanische Werte transportierenden Namen “Freedom” und “Independence” werden wie gigantische Phallussymbole in den Weltraum geschossen und unterstreichen die nicht nur technische Überlegenheit der Amerikaner, besonders dann, als Peter Stormare kurz darauf wie ein Witz über den Ausgang des Kalten Krieges eingeführt wird - als hilfestellende Marionette der Amerikaner. Globale Verbundenheit wird derweil durch weltweite Kometeneinschläge veranschaulicht. Nicht unähnlich den Mutterschiffattacken aus “Independence Day”, wird hier mal Paris zerstört, da Hong Kong, dort New York - die Weltmetropolen stehen unter SFX-technisch inzwischen wieder überholtem, damals aber zeitgemäßem Beschuss, der einfach eindrucksvoll anzusehen ist.
Da verliert sich die Bohraktion auf dem Kometen schon eher in visuellem Effekteoverkill, denn so adrenalinfördernd diese unwirtliche Umgebung mit den kantigen Gesteinsbrocken, tiefen Kratern und der schimmernden Raumatmosphäre auch sein mag, auf Dauer wirkt sie eher ermüdend - und wenn Bay dann zwischenzeitlich in die NASA-Zentrale mit all ihren Apparaten und blinkenden Knöpfen schneidet, ist das auch nicht unbedingt eine Ruhepause für das überforderte Auge.
Es gesellen sich schließlich noch unvorhergesehene Probleme hinzu, Verschwörungen, Gegenwind von Houston, menschliches und technisches Versagen, Zufall und Schicksal, doch am Ende ist der Zuschauer dem Geschehen dennoch immer einen Schritt voraus, weshalb er aus eventuellen Wendungen weniger etwas ziehen kann als aus dem massiven Bildwert, den Bay einmal mehr auf die Beine zu stellen versteht.
Am Ende ist die Erde aller Wahrscheinlichkeit nach gerettet und der Popcorn-Kinogänger von 1998 ist vermutlich zufrieden. Er hat gerade große Massenunterhaltung von einem nie gesehenen Ausmaß gesehen, ohne dabei seine grauen Zellen bemühen zu müssen. Die Effekte fand er sensationell, Bruce Willis war auch wieder toll und ja, würde ein Film mit dieser Wirkung heute die Kinos erobern, würde man wieder überall folgendes hören: “Die DVD ist sowas von gekauft!”. Ein klassischer Kritiker-Publikums-Spalter: Die einen enttäuscht bis spöttisch, die anderen begeistert.
Heute ist “Armageddon” ähnlich wie “Independence Day” ein Kuriosum der Neunziger Jahre und zugleich doch ein stellvertretendes Gesicht für den Mainstream, wie er in jener Epoche aussah. Es ist nicht wirklich ein guter Film, sondern wirklich eher etwas, das ein Schimpanse mit Fernsehsucht auch zustandebringen könnte - doch ein gewisser Unterhaltungs- und Kuriositätenwert ist Bays Film nicht abzusprechen. Edel, gigantisch, bombastisch, fantastisch... und doch ganz schön armselig. That’s entertainment for ya!

Auf DVD gibt's den Bay-Kracher selbstverständlich auch, und zwar inzwischen schon in der dritten Auflage als "Special Edition" mit Bonus-DVD. Alle drei Fassungen enthalten den Kinocut - es gibt aber auch noch einen Director's Cut, den man zB. mit der US-Criterion erwirbt, allerdings auch in GB bekommt.
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Cinefreak flippt aus:
"Armageddon" von Meister-Actionmacher Michael Bay und Krawumm-Spezi Jerry Bruckheimer ist ein absolutes Paradebeispiel dafür, wie ein Blockbuster sein muss, um zu kicken. Das ist das, was mir bei den beiden sehr gefällt - Jerry und Michael legen stets wert darauf, dass nur die besten der besten an ihren Filmen mitarbeiten. So gleichen ihre Filme oft einer modernen Oper und lassen einem im besten Sinne hören und sehen vergehen. So auch Armageddon, der mit sagenhaften rund zehn Actionszenen einiges an Augenfutter zu bieten hat.
Aber auch in punkto emotionale Wucht überzeugt Michael Bays dritter Film hundertprozentig. Besonders gelungen ist dem Regisseur z. B. die Szene, in der zunächst die Leute um Harry vor dem Nasa-Gebäude auf harte Kerle machen, dann aber wie ausgewechselt sind, als sie die Katastrophen-Nachricht erfahren. So muss Kino sein, so und nicht anders.
Die Besetzung ist vom feinsten, auch Michael Bay spielt eine Rolle, aber bescheiden wie er ist, gönnt er sich selbst nur eine Minute als Wissenschaftler, um dann sofort wieder seinen Schauspielern das Feld zu überlassen. Bei den Protagonisten - Antagonisten gibt es hier in dem Sinne ja nicht - überzeugt auf Seite der NASA Billy Bob Thornton auf ganzer Linie, zudem bringt er ein paar sehr ironische Szenen hinein. Und das braucht das Weltuntergangs-Szenario auch, um nicht zu sehr herunterzuziehen, denn was Emotionen angeht, schöpfte Michael Bay mit einer riesigen Kelle und bietet weit mehr als ein oberflächliches Katastrophenfilmchen ohne Tiefe. Nicht allen wichtigen Leuten wird ein sehr ausführlicher Charakter eingeräumt, allerdings reichen auch die Anrisse absolut aus, um mitzufühlen.
Ich habe den Film schon einige Male gesehen und muss sagen, dass es immer wieder Szenen gibt, die ich superlustig, andere wiederum, die ich so traurig finde, dass ich dabei weinen muss. Ich sehe das auch nicht als negativ an, bei einem großen Film mitfühlen zu können.
Wenn schon Vergleiche gemacht werden, den schwachen "Deep Impact" kickt Armageddon schon mit der New York-Actionszene weg. Es gibt wie gesagt knapp ein Dutzend Actionszenen, wovon drei am Boden spielen. Die New York-Einschläge sind definitiv am eindruckvollsten geraten. Bemerkenswert ist - und das meinte ich damit, dass die Macher auf die absolute Elite gesetzt haben bei der Herstellung des Filmes - dass selbst die Weltraumszenen, die logischerweise zumindest zum Teil visual effects sind, ziemlich realistisch geworden sind. Verglichen mit heutigen Blockbustern wurde bei Armageddon sehr viel Wert auf die Effekte gelegt, und das stimmige Szenario wird durch hervorragende musikalische Untermalung von Con air-Komponist Trevor Rabin perfekt abgerundet.
Zudem gefielen mir die Szenen mit den eingestreuten Bildern aus aller Welt mit der musikalischen Untermalung richtig gut.
Fazit: Dank großartiger Filmemacher eine rundum gelungene Actionoper mit Tiefgang und Ironie
Note...? Kann natürlich nur eine sein.
In den making ofs zu den visual Effects sieht man, wie man es richtig macht: Viele Modelle wurden erstellt, von Hand, der Computer wurde nur zu Hilfe genommen, wo die Möglichkeiten an ihre Grenzen stießen. Diesen Aufwand würde ich mir für moderne Filme auch wünschen
Facts
Erfolgreichster Film des Jahres 1998, trotz starker Konkurrenz wie Godzilla und Soldat James Ryan
