X
Dass Ti West frühere Filmdekaden in Look und Feeling zurückbringen kann, ist kein Geheimnis - bewies er diese Kunst mehrfach, erstmals in seiner Seventies-Italohorror-Hommage "House of the Devil", die wahrscheinlich immer noch die Krönung seines bisherigen Schaffens ist. "X" nimmt sich erneut die 1970er vor, dort aber das amerikanische Grindhouse-Kino im Allgemeinen und "Texas Chainsaw Massacre" im Speziellen. Zwar ist es keine Autopanne, sondern ein Pornodreh, der eine Gruppe junger Menschen ins amerikanische Hinterland bringt, doch die Farm von Howard und Pearl strahlt ähnliche Vibes aus wie das Heim der Schlachtersippe in dem Tobe-Hooper-Meilenstein. Mit Pornodreh, nackten Tatsachen und Gesprächen über Vermarktung des fertigen Produkts huldigt West auch noch dem filmischen Lenden-Lamabada jener Zeit, dessen mit gewissem Anspruch gedrehte Kinoprojekte nach und nach durch schnell runtergekurbelte Ware für den Videomarkt ersetzt wurden. Weitere Referenzen Richtung Horrorklassiker sind das versenkte Auto im Sumpf ("Psycho") und die hungrigen Krokodile ("Eaten Alive").
So famos die Form, so altbekannt der Inhalt. Nach langsamem Aufbau und ausführlicher Einführung der Charaktere nach und nach weggehäckselt, mit überdeutlich feststehendem Final Girl, sodass allenfalls noch Spannung aus der Frage gezogen wird, ob vielleicht noch ein, zwei weitere Figuren die Endcredits erleben dürfen und in welcher Reihenfolge das Personal wohl draufgeht. Dann das ist erfreulich vielschichtig geraten und wird gut ausgearbeitet. Manche Figuren sind etwas sympathischer als andere: Schlechter weg kommen Pimp-Daddy Wayne und der etwas bigotte R.J., der das Pornodrehen erst in jeder Weise rechtfertigt, aber dann genauso emsig verhindern will, dass seine Holde Lorraine auch in einer Szene mitspielt. Letztere wird von Jenna Ortega verkörpert, die zum Horrorstar der Jahres 2022 aufsteigen sollte - es kamen außerdem noch "Scream 5", "Studio 666", "American Carnage" sowie die Netflix-Serie "Wednesday" mit ihr heraus. Die Morde sind bodenständig, hart und rau inszeniert, teilweise einfallsreich (Stichwort Krokodil) und bedienen den Slasherfan ziemlich ordentlich. Große Überraschungen bleiben aus, da die potentiellen Übeltäter von Anfang an feststehen und auch die Motive für ihr Handeln relativ gut erahnbar sind. Auf die Metaebene sollte man "X" in mancher Hinsicht allerdings nicht legen.
Konsequent zu Ende gedacht besagt Wests Film letztendlich, dass sexuelles Verlangen im Alter potentiell mörderisch ist und dass man besser die Schrotflinte rausholt, wenn Oma und Opa untenrun noch nicht komplett gefühlstot sind.
Aber solche Ansprüche stellt "X" gar nicht, sondern will vor allem das Terror- und Slasherkino nochmal zum Leben erwecken, dem Grindhouse-Filmemachen huldigen und lieber gut kopieren als sich was Neues auszudenken. Das ist zwar etwas überraschungsarm, aber vollkommen legitim und filmisch mehr als ordentlich umgesetzt.
Knappe

Jimmy Dix: "Du glaubst wohl nicht an die Liebe?" - Joe Hallenbeck: "Doch ich glaube an die Liebe. Ich glaube auch an Krebs." [Last Boy Scout]
Perry Van Shrike: "Look up 'idiot' in the dictionary. You know what you'll find?" - Harry Lockhart: "A picture of me?" - Perry Van Shrike: "No! The definition of the word idiot, cause that is what you fucking are!" [Kiss Kiss, Bang Bang]