
Originaltitel: Get Shorty
Herstellungsland: USA
Erscheinungsjahr: 1995
Regie: Barry Sonnenfeld
Darsteller: John Travolta, Gene Hackman, Rene Russo, Danny DeVito, Dennis Farina, Delroy Lindo, James Gandolfini, Jon Gries, Renee Props, David Paymer, Martin Ferrero, Miguel Sandoval, Jacob Vargas, Linda Hart, Bobby Slayton
Der hellste Punkt an meinem Horizont, das Rettungsboot auf meinem Ozean, der Wirbelsturm in meinem Wasserglas und auch noch der Fels, der in meiner Brandung steht, das alles ist der Film für mich. Merci, dass es dich gibt!

Stefan Oberhoff hat diese Zeilen mit Sicherheit nicht dem Unterhaltungsmedium “Film” gewidmet (dann schon eher den Kohlen aus der TV-Schoki-Werbung), aber ein Chili Palmer hätte es wohl getan. Vorausgesetzt, er wäre denn mal irgendwann so unheimlich sentimental geworden, was eigentlich unvorstellbar ist, so verdammt abgeklärt, wie er dasteht und seinen heiklen Geschäftspartnern nur drei Worte mit auf den Weg gibt: “Sieh mich an!” Hätte er das zur Filmleinwand gesagt, hätte die wohl entgegnet “Sieh du lieber mich an!” - vielleicht ist der Ex-Kredithai daher so vernarrt in Filme, weil sie ihm als einzige noch Kontra geben können. Die Menschen, mit denen er umzugehen hat, sind für ihn dagegen nichts als ein Spielzeug, die Schoki als Vorspeise sozusagen.
Deswegen ist Barry Sonnenfeld, dem eigentlich eher verkrampft-perfektionistisch operierenden Blockbuster-Maker, wohl so ein flockiges Gangsterflick gelungen. Dieser Chili ist einfach zu lässig für sein Umfeld. Danke, Elmore Leonard. Danke vielmals für diesen Charakter.
Nicht nur hat er John Travoltas “Pulp Fiction”-Comeback sinnig gefestigt und den Mann mit dem megalomanischsten Haifischgrinsen Hollywoods (nach Nicholson) dauerhaft ins Geschäft zurückgebracht, nein, er hat uns Cineasten endlich eine Identifikationsfigur erschaffen. Um so strittiger, dass ausgerechnet “Addams Family”-Regisseur Sonnenfeld auf dem Regiestuhl Platz nehmen durfte, da der Stoff mit Sicherheit nicht mainstreamkompatibel ist. Allenfalls ein potenzieller Kultfilm steckt dahinter, denn tarantinoeske Beziehungen, Film-im-Film-Metaebenen, stets und ständig auf die Filmgeschichte bezugnehmende Dialoge und Behind-the-Scenes-Einblicke in die Hollywood-Maschinerie sind sicherlich nicht jedermanns Geschmack. Doch Freunde der Filmkunst werden mit der Zunge schnalzen, wenn der gute alte Chili im Kino, und nur dann, seine Fassung verliert, jeden Dialog von “Im Zeichen des Bösen” mitspricht und seinen Vordermann beim Abspann mit einem Strahlen im Gesicht anstupst, das sonst auf dieser Welt nur noch Kinder haben, denen man gerade ein großes Eis mit bunten Streuseln versprochen hat.

Travolta war nicht einmal annähernd erste Wahl (und hatte auch selbst überhaupt nicht vor, die Rolle anzunehmen, bevor Quentin Tarantino es ihm dringend empfahl), füllt den Papiercharakter aber so selbstverständlich mit Leben, als sei er wahrhaftig dieser Mann. Natürlich war die Umstellung nach seiner Paraderolle nicht allzu groß, wurde das Genre nach “Pulp Fiction” doch nur zu ganz unwesentlichen Anteilen gewechselt, doch gleich darauf die nächste Paraderolle zu fabrizieren, ist schon ein Ding. Es ist aber auch, als hätte Elmore Leonard die Figur extra für Travolta maßgeschneidert. Heute kaum vorstellbar, dass Sonnenfeld selbst eher Danny DeVito für die Hauptrolle bevorzugt hätte, der nun den Schauspieler Martin Weir spielt - eine der vielen Meta-Figuren in diesem Szenario, das sich Hollywoods zu Teilen real, zu Teilen fiktional annimmt.
Was ist das eigentlich Faszinierende an diesem Streifen, der wahrlich nicht nur Lob eingeheimst hat? In jedem Fall ist es keine simple Satire auf das wahre Gesicht der Hochglanzfassade L.A. Direkt anprangernde Szenen mit klassisch-satirischen stilistischen Übertreibungen (wie sie dann zehn Jahre später das Sequel “Be Cool” zuweilen pflegte) stehen eigentlich weniger im Vordergrund. “Get Shorty” lebt von seinem urigen Kuriositätenwert, indem er einen von allerhand kauzigen Charakteren bevölkerten Mikrokosmos darstellt, der total von der Außenwelt isoliert zu sein scheint. Gene Hackman, Rene Russo, Danny De Vito, Delroy Lindo, James Gandolfini und Dennis Farina, sie alle stellen absurd schunkelnde Pole in einem total verrückten Pool dar, und sie alle geraten aneinander - mit sehr direktem Wortwitz, der die Verschrobenheit von ihnen allen entlarvt. Viele der Darsteller haben ihre Rollentypen später in anderen Projekten wieder aufgenommen.

Chili Palmer ist als Quereinsteiger ins Haifischbecken nun der Außenseiter, der das Filmgeschäft mit gequälter Resignation straft und im Grunde nicht einmal den Versuch unternimmt, etwas zu ändern - für ihn ist Hollywood verloren. Ein Seufzen ist alles, was er für diese verdorbene Festung der Korruption übrig hat. Also verhält er sich wie Clint Eastwood in “Für eine Handvoll Dollar”, als Outlaw ohne Loyalität zur einen oder anderen Seite, der ganz im Gegenteil beide Seiten schröpft und damit verurteilt und zugleich hämisch lacht.
Doch das Besondere ist der emotionale Zwiespalt in dieser Dissonanz, da er Hollywoods Produkte doch so sehr liebt - und zwar alle seine Produkte, von Orson Welles’ Meisterwerken bis zum “Schleimige Monster”-Zyklus. Chili Palmer ist fanatischer Vollblutcineast, liebt das Medium Film wie andere Männer Frauen. Und als er Rene Russos Karen kennenlernt, sieht er zunächst einmal die Scream Queen aus all den B-Movies, die er so vergöttert, nicht die Person dahinter.
Genau das macht den Charakter so authentisch und lässt es zu, dass man sich mit ihm trotz seiner übermenschlichen Coolness so gut identifizieren kann. Er begibt sich zwar freiwillig in den Kreislauf des Filmgewerbes, gerät dabei aber nie in Abhängigkeiten, weil er den Job eher als Zweckmäßigkeit denn als sein Leben begreift - eine Berufsauffassung von der seltenen Sorte, die der Filmkunst den Vorzug vor dem Kommerz gibt. Wenn bei einem solchen Protagonisten nicht von jeder Seite, John Waters inbegriffen, Standing Ovations kommen - bei wem dann?
Und Chili ist es dann auch, der den kompletten Flow von “Get Shorty” dirigiert. Komponist John Lurie, der schon an diversen Werken von Jim Jarmusch mitgearbeitet hat, lässt einen lockeren Groove über die Story laufen, während die Kamera fast immer bei dem Mann ist, der die Zügel in der Hand hält und ihn einfach machen lässt. Travolta bekommt teils sehr lange Einstellungen ohne Schnitt geboten, um sich zu profilieren. Keinerlei Hektik im Szenenaufbau, der für gewöhnlich dann mit einer trockenen Pointe schnell abgeschlossen wird. So folgt die Kamera in einer Szene dem schnellen, aber zielgerichteten Gang Palmers durch eine Hotellobby vor ein Zimmer, wo ein Klopfen erfolgt, Dennis Farina öffnet und ohne Vorwarnung eins auf die Nase kriegt. Schnitt. So funktioniert der Humor von “Get Shorty”.

Nun kann man in dem Wechsel exotischer Orte (selbst die Innenaufnahmen sind ausstattungstechnische Schmuckstücke - Harry Zimms Büro ist einfach göttlich) und Handlungen natürlich die strukturspezifischen Probleme einwenden, die dieser Streifen zweifellos hat. Sonnenfeld kommt nicht immer gleich zu Potte, das Skript ist zudem aufgebläht mit weitestgehend sinnlosen Passagen, deren Fehlen storytechnisch niemand vermisst hätte. Nur geht genau damit eben die Lockerheit einher, der sorglose, lässige Groove. Wir haben es hier mit einem klassischen Feel-Good-Movie zu tun, das man in aller Regel nicht nur einmal sehen wird. Die Situationen sind ganz einfach zu interessant, um sie sich wegwünschen zu wollen. Wo viele Filme mit unverzichtbaren Szenen beladen sind, die aber eher langweilen, findet man hier eine Ungebundenheit an storyspezifische Elemente vor. Man muss einfach nur die einzelnen Szenen genießen, anstatt ihren Zweck für die Geschichte zu hinterfragen. Ein Punkt, der übrigens sogar reflektiert wird, als Chili seine Filmidee vorstellt und Harry Zimm anmerkt, dass das nur Stoff für 40 Minuten sei. 40 Minuten Netto-Storygehalt, die Barry Sonnefeld mit allerlei Nebenschauplätzen auf stattliche 100 Minuten aufplustert.
Und ein Fazit? Deswegen liebe ich Filme. Genau deswegen. Ich mag gut geschriebene Dialoge, Hommagen und Reminiszenzen, ich mag interessante Charaktere und ein wenig Gewalt, etwas Realismus und ein bisschen Fiktion, ein paar Emotionen und etwas Identifikation, ich liebe Charaktere, die hundertmal lässiger mit Situationen umgehen als ich, ich sehe gerne Dummpfeifen und schlaue Kerlchen, die sich gegeneinander ausspielen, ich stehe auf Konflikte und originelle Wege, diese zu lösen, möchte etwas mitdenken, in fremde Welten entführt werden, Neues offenbart bekommen und doch Altbekanntes darin wiedersehen. “Get Shorty” ist nicht perfekt, aber das bin ich auch nicht, also who cares? Wenn ich sehe, wie Bear von Chili niedergeprügelt wird, weil es Bears Job ist, Chili niederzuprügeln, und wie sich Chili dann nach dem Wohlempfinden seines Gegenübers erkundigt, alle Formalia beiseite lässt und sich plötzlich ein Stuntman und ein Filmfan unterhalten, sitze ich, das Publikum, mit einem Grinsen auf dem Gesicht da und erfreue mich an einer feinen Kuriosität, einer von vielen in diesem Film.
Merci, dass es dich gibt.

Nachdem die olle Erstauflage ohne Extras überholt war, schob MGM eine "Gold Edition" nach. Im Pappschuber in Amaray befinden sich zwei DVDs mit dem Film nach Wahl mit Audiokommentar, Featurettes, Deleted Scenes und auch einem 8-seitigen Booklet. Später dann gab es noch ein 4-Disc-Set zusammen mit "Be Cool".