Der künstlerische Wert kann Netflix letzten Endes natürlich egal sein. Es geht darum, die Leute wissen zu lassen, dass der neue Michael-Bay-Actionkracher exklusiv beim Streaming-Riesen erscheint. Ein beachtlicher Prestige-Gewinn steht damit zur Ausschreibung. Ob die Produzenten dennoch mit leichter Wehmut dem Konfetti aus investierten Geldscheinen hinterherschauen, das der Spielzeug-Rowdy auf dem Regiestuhl gerade mit einem einzigen Schuss aus der Kanone in den Himmel gepulvert hat?
Allzu lange lässt Bay die Katze jedenfalls nicht im Sack. Getreu dem Motto „Wer bremst, verliert“ legt er los mit einer viertelstündigen Autoverfolgungsjagd, die ohne jeden Zweifel dazu konzipiert wurde, neue Maßstäbe zu setzen. Mit den Marktplätzen von Florenz wurde den quietschenden Reifen nicht umsonst ein besonders enges Korsett angelegt; die Kollisionsberechnung liegt schließlich irgendwo zwischen „Haaresbreite“ und „Totalschaden“, damit das Publikum reichlich zu feiern hat. Wenn es hart auf hart kommt, verwandelt sich die Ultrahochgeschwindigkeits-Revue sogar in eine Art Splatter-Comedy. Haarsträubende Freak Accidents werden dann onscreen mit dummen Sprüchen garniert. Man kennt das bereits in abgemilderter Dosis aus dem zweiten „Bad Boys“ (jener Zeit also, als Bay noch nicht die Kindergärten dieser Welt als potenzielles Publikum ausgemacht hatte)... geschmackvoller ist die Kombination seitdem allerdings nicht geworden. Wer argumentiert, dass Bay zumindest die Konsequenzen unsachgemäßen Handelns im Straßenverkehr zeigt, der übersieht die diebische Freude, mit der er das tut. Und die ist aufgrund des Kontextes unangenehm anzusehen; da würden selbst glühende Verehrer der „Final Destination“-Reihe wohl mitgehen.
Nebenbei wird in diesem Gewühl aus Zeitlupen, Schnitte-Stakkatos, Freeze Frames und Close-Ups von dummen Visagen noch der Hauptdarsteller eingeführt, der Bays niemals endende Sandkasten-Anarchie sogleich für das eigene Image instrumentalisiert. Ryan Reynolds „Eins“ ist eine Knallcharge, die einem Deadpool ebenso gut als zweiter Kopf aus dem Hintern wachsen könnte, um die Aussicht seines Trägers aus der Vertikale zu kommentieren. Insofern passt er hervorragend zu Bays Stil, denn wenigstens kommt der Blödsinn bei Reynolds tief aus der Lunge, wodurch er innerhalb des Bay-Universums mit all seinen schicken Sonnenuntergängen, Sonnenbrillen und stylishen Dresses eine gewisse Authentizität verströmt. Dass Reynolds' Komparsen austauschbare Ziffern sind, wird sogar zum Konzept umgedeutet; wann immer der Träger einer Zahl erlischt, schlüpft einfach der nächste in die Rolle.
Kaum ist die initiale Autojagd beendet (irgendwann endet eben alles mal... an einem Trägerbalken), verstreut sich die Crew in alle Winde, doch die Hektik bleibt fortbestehen. Selbst in verhältnismäßig ruhigen Besprechungssequenzen wird man mit unruhigen Schwenks und unnötigen Ablenkungen fürs Auge gegängelt. Möchte man das positiv deuten, könnte man sagen: Kaum ein Regisseur trotzt den Zeichen der Zeit so sehr wie Michael Bay, denn was er heute dreht, unterscheidet sich in der Herangehensweise nicht allzu sehr von seinen Arbeiten aus den 90er Jahren. Verliert man sich jedoch darin, das Chaos bei der Ausbreitung zu betrachten, erwacht man möglicherweise gebadet in Langeweile. Genau das passiert im unheimlich zähen Mittelteil, wenn die Dialoge mal wieder von „Guten“ und „Bösen“ berichten und zwischen dem Leben des Einzelnen und dem Erledigen des Jobs abgewogen wird.
Eine zweite große Actionsequenz bewahrt davor, dass man schließlich selig wegdämmert – wohlgemerkt nicht wegen einer außergewöhnlichen Choreografie, sondern rein wegen ihrer konzeptionellen Besonderheit, die einen gigantischen Magneten umfasst und eine Menge Spaß mit herumfliegenden Metallteilen. Reynolds wird wohl ein gewisses Sümmchen gekostet haben; wie kaum anders zu erwarten, wurden die Millionen aber wohl hauptsächlich in Partikel investiert, mit denen das Konfetti schön breit streut. Man könnte also sagen, die Investition ist auf der Leinwand zu sehen, zumindest so lange man die Slow-Motion-Taste betätigt.
„6 Underground“ setzt sich nach gut zwei Stunden zu einem großen, lauten Action-Debakel zusammen, das in seinen spektakulären Achterbahnmomenten zu gleichen Teilen Spaß macht und anwidert, um dazwischen fast durchweg zu langweilen. Von den zaghaften Ambitionen aus „13 Hours“, „Pain & Gain“ oder „The Island“ ist hier nichts zu spüren; Bay krallt sich das „stupid money“, um einfach mal einen drauf zu machen. Netflix bezahlt die Rechnung und darf sich dafür feiern lassen, der Zuschauer hat den Kater. So gesehen bekommt jeder, was er verdient.
