
Originaltitel: Ngo Shut Sui / Who am I?
Herstellungsland: Hongkong
Erscheinungsjahr: 1998
Regie: Jackie Chan, Benny Chan
Darsteller: Jackie Chan, Michelle Ferre, Mirai Yamamoto, Ron Smerczak, Ed Nelson, Tom Pompert
Angenommen, wir sind Spezialagenten in einem hochgeheimen Fall um Hi-Tech-Konsortien der Sorte Top Secret. Etwas läuft schief, wir verlieren das Bewusstsein und wachen später in der Wüste auf, wo uns Eingeborene versorgen, aus deren Mündern wir kein Wort verstehen. Wer wir selbst sind, wissen wir nicht - auf jeden Fall gehören wir nicht zu diesem Stamm. Dennoch nehmen wir die Bräuche an und gliedern uns in die Gemeinschaft ein, bis wir stark genug sind, auf die Suche nach der alles entscheidenden Antwort auf diese Frage zu gehen:
Who am I?
Wenn Jackie Chan diesen Satz mit aller Kraft in den Himmel stößt, müssen wir schmunzeln, denn wer der Mann ist, der uns im folgenden mal wieder mit feinster Martial Arts-Action und klassischen Slapstick-Verwirrspielchen erfreuen wird, wissen wir schon lange. Als “Who Am I?” den europäischen Markt erreichte, hatte Chan gerade seinen Traum verwirklicht, internationalen Erfolg zu feiern. Das gelang ihm mit “Rush Hour” unmittelbar nach dieser Regie-Koproduktion mit dem späteren “New Police Story”-Inszenator Benny Chan. Und so wurde das multikulturelle Agentenspektakel einer der ersten weiterführenden Anlaufpunkte für jene, die durch “Rush Hour” wissbegierig geworden waren nach dem Chinesen. Kein schlechter Start ins Universum des Jackie Chan: die “Cinema” urteilte wohlwollend mit dem Fazit “Spätestens nach diesem Film wird Europäern Chans Popularität kein Rätsel mehr sein” und wahrhaftig bekommt man als Westlicher eine gewisse Ahnung davon, welch ein Imperium der vermeintliche Neuling im Filmgeschäft bis 1998 schon auf die Beine gestellt hatte.
Eine klare Formel wird auch sehr schnell ersichtlich: Auf die Story kommt es nicht an. Sie dient grundsätzlich immer als Mittel zum Einbau von Stunts und Kämpfen. Akzeptiert man das, was gerade Fans puristischer Actionfilme nicht allzu schwer fallen sollte, fährt man gleich auf der richtigen Schiene und wird in Chans Filmographie streckenweise immer wieder Offenbarungen erleben.
Die gewählte Amnesie-Ausgangsidee ist eine Variation alter “unschuldig gesucht”-Filme, an denen schon Alfred Hitchcock (“Die 39 Stufen”, “Saboteure”, “Der unsichtbare Dritte”) seine helle Freude hatte. Im Gegensatz zu dessen Thrillern kommt beim Amnesie-Thriller noch die Frage nach der eigenen Identität hinzu - ein insgesamt so reizvolles Konzept, dass auch dieses mitunter nahezu ausgereizt wurde. Jackie Chan (nicht nur Regie und Darsteller, sondern auch Drehbuchautor des Films) sah darin wohl auch eine Möglichkeit, die altbewährten Kampf- und Fluchtelemente hierdurch auf kreative Weise neu zu verpacken. Es finden sich viele Vertrauensspielchen und Missverständnisse im Plot wieder und Jackie wird wieder zum (vorerst) ahnungslosen Gutmenschen auf der Suche nach einer Antwort. Mit anderen Worten, dass Konzept ist wunderbar für Jackies Zutaten geeignet. Dass es allerdings ursprünglich aus dem Thriller-Genre stammt, merkt man - für kindliche Späße, die es in seinen alten Martial Arts-Streifen bis hin zu seinen Actionvehikeln der Marke “Police Story” immer wieder zuhauf gab, ist diesmal nicht mehr ganz so viel Platz. Die weibliche Unterstützung von zweierlei Seite (Michelle Ferre und Mirai Yamamoto) tendiert zwar immer wieder dazu, in das clownhaft-hysterische Dreierschema zu verfallen, das kurz zuvor noch bei “Mr. Nice Guy” und damals auch schon bei “Mission Adler” Anwendung fand, wirklich albern wird es aber nie. Dem westlichen Publikum wird’s gefallen haben, denn wenn es mal humoristisch wird, dann auch mit Konzept. So ist Jackie in der Anfangsphase als Indianer eine Wucht. Die missverständliche Situation an dem Auto mit der Panne, als Yuki (Yamamoto) glaubt, der “Wilde” wolle ihren Kollegen essen, ist köstlich und das dauerhafte Umhertaumeln durch das Kauen einer exotischen Pflanze lädt immer wieder zum Grinsen ein.
Ansonsten hat man bis zur Hälfte leider manche Länge zu verdauen. Zwar gefällt das nicht Hongkong-untypische Prinzip, mit zunehmender Laufzeit an der Action zu drehen, doch ein wenig mehr hätte es zu Anfang gerne sein dürfen. Die Geschichte um die entführten Wissenschaftler und die Superwaffe ist einfach zu formelhaft, um für sich betrachtet Interesse zu wecken. Darüber hinaus ist die kürzere Anfangszeit bei den Indianern zu klischeehaft gezeichnet. Ursprünglich war ein Zweiteiler geplant; vielleicht ist es ganz gut, dass man sich auf einen Film einigte und einiges von dem Afrika-Material strich, um die restlichen Orte und die in ihnen ausgetragenen Kämpfe in den Mittelpunkt zu rücken.
Ist man nämlich einmal in Europa angelangt, geht es prompt gut los. Jackie, auf dessen Rolle hier jedes Ereignis zugeschnitten ist, findet sich in einem Verschwörungsnetz wieder und muss allerlei überraschende Auseinandersetzungen über sich ergehen lassen. Während er rätselt, wem er trauen kann und wem nicht, wird der Zuschauer teilweise eingeweiht (Ed Nelson), teilweise aber auch selbst noch im Unklaren gelassen über die Absichten der Beteiligten (Michelle Ferre). Das ist aber auch vollkommen unwichtig, denn es geht einzig und alleine um die möglichst abrupten Situationswechsel, bei denen Jackie quasi gezwungen wird, zu improvisieren. Und so rutscht er mal munter mit holländischen Holzschuhen über gepflasterte Straßen an fahrenden LKWs vorbei und unter hinunterfallenden Möbeln hindurch, er befreit sich aus einem Verhör per Umfunktionierung seines Drehstuhls zur Waffe, wieselt Wände hinauf und schlängelt sich durch Lüftungsröhren. Es ist das alte Programm neu choreografiert, und es begeistert immer wieder.
Als Höhepunkt präsentiert sich der Kampf Jackies gegen zwei mächtig wirkende Hünen (David Leung und Ron Smoorenburg) auf dem Dach eines gläsernen Hochhauses, inklusive anschließender imposanter Rutschpartie über die halbvertikale Außenwand des Gebäudes. Mit Ron Smoorenburg geht’s vorher aber noch in einem beinlastigen Kampf ähnlich dem aus dem Schnapsbrennerei-Finale in “Drunken Master II” ordentlich zur Sache. Der Holländer wird dabei allerdings teilweise von Jackie Chans langjährigem Stuntchoreografen Bradley James Allan gedoubelt, der kurze Zeit später in einem eigenen Auftritt gegen Chan in “Under Control” gebührend entlohnt wurde. Allans Einfluss auf die Choreografie ist dabei deutlich spürbar.
Ja, schönes Ding! Trotz des etwas langatmigen Beginns und trotz der Story nach Schema F macht die Suche des Jackie Chan nach seiner Identität unglaublich viel Spaß. “Nobody” ist durch seine wechselnden Handlungsorte auf aller Welt so etwas wie ein Vorläufer von “Spion wider Willen” und entfaltet einen Strauß von abwechslungsreicher Action, die mit zunehmender Dauer immer dichter wird. Ein paar Kulturklischees lassen sich nicht umgehen, Handlungswenden sind - teilweise ganz gewollt - jederzeit vorhersehbar und was das nun für eine Sache ist, weshalb alle hinter dem Mann mit dem Gedächtnisschwund her sind, interessiert kein Schwein. Warum auch, denn immerhin haben wir hier einen klassischen Jackie Chan in Hochform. Das genügt.

Die DVD von Splendid ist wie alle deutschen Fassungen uncut, allerdings im falschen Bildformat und ohne Originalton. Bild und Ton sind eher mäßig.