Insurgentes(2009)
![Bild](http://www.burningshed.com/covers/large1848.jpg)
Technische Daten
Vertrieb: kscope
Regionalcode: 0 / NTSC
Laufzeit: 75 Min. (Film), 85 Min. (Bonusmaterial)
Darsteller: Steven Wilson, Mikael Akerfeldt, Aviv Geffen, Trevor Horn u.v.m.
Film
Spätestens mit dem Album "Fear Of A Blank Planet" hat sich Steven Wilson, Kopf der komplexen Rockband "Porcupine Tree", einen Namen über die Kreise seiner Hörerschaft hinaus gemacht. Mit seiner Anklage gegen die geistlose Jugendkultur und das verrohende Kunstverständnis trat er endgültig aus der introvertierten Kammer des Progmusikerdaseins und gelangte in das Bewusstsein seiner "iPod-Gesellschaft", die Künste wie Film und Musik laut Wilson zunehmend als schnelles Konsumgut begreift und die sich deswegen direkt angesprochen fühlen muss. Wo manche einen Propheten der Kultur in dem Musiker sehen, werfen ihm andere einen erhobenen Zeigefinger vor.
Obwohl man nicht den Fehler machen sollte, sein Schaffen auf das Propagieren traditioneller Werte zu reduzieren, so ist es doch die Entwicklung der Musikindustrie, die Wilson zum Zentrum seiner Dokumentation macht. Ob man "Insurgentes" nun als reaktionäres Pamphlet oder als längst nötigen Weckruf begreift, hängt auch wesentlich davon ab, wie man persönlich zum Thema steht. Fakt ist aber: Lasse Hoile, inzwischen langjähriger Begleiter von Porcupine Tree und Verantwortlicher der künstlerischen Präsentation der Band, spinnt gemeinsam mit Wilson aus der simplen These des Untergangs der Musikkultur ein komplexes Geflecht, das nach und nach zusammenhängende Fragen spannend abhandelt und dabei in hochinteressante Bereiche vordringt.
Während der Kunst inhaltlich ein Stück Wertigkeit zurückgegeben wird, verzichtet der dänische Filmemacher nicht darauf, selbst Kunst anzufertigen: keineswegs ist "Insurgentes" eine gewöhnliche Dokumentation, vielmehr dringen visuelle Konstrukte aus dem Handwerkskoffer des psychologischen Horrorfilms in das graue Faktengerüst. Grelle Farbfilter, unkonventionelle Schnitttechniken und unbehagliche Perspektiven verraten Hoiles filmische Idole: Negativbilder und hektisch auf die Kamera zurasende Gestalten mit Masken führen zu David Lynch, unheimliche Atmosphäre in normalen Bildern zu Ingmar Bergman, der Gebrauch von Symbolik und metatextuelle Bezüge zu Andrei Tarkovsky. Dabei fängt Hoile Szenarien ein, die zwischen malerisch und verstörend pendeln, in jedem Fall aber den Ursprung des Regisseurs als Fotograf verraten. Impressionen von leeren, angehäuften Särgen auf einem Feld oder einem Baum voller verrotteter Puppenfiguren, sie sind wie für die Leinwand gemacht. Weitere Aufnahmen von Carl Glover, der die Artworks für das Wilson-Nebenprojekt "Bass Communion" anfertigte, komplettieren die tollen Bilder. Eingeflochten werden sie in normal wirkende Behind-The-Scenes-Aufnahmen, wenn sich etwa Wilson mit seinen Freunden Mikael Åkerfeldt ("Opeth") und Jonas Renske ("Katatonia") zum Begutachten der Plattensammlungen trifft oder wenn ein Fan in der Einkaufspassage ein Foto haben möchte.
Höchst ansprechend geraten dabei vor allem die Momente, in denen die künstlerischen, also "gewollten" und "gestellten" Passagen in die Faktenwelt eindringen. So sitzt Steven Wilson beispielsweise in einer Szene zwischen seinen Eltern und schaut sich ein vor 25 Jahren entstandenes selbst gebasteltes experimentelles Tape an, womit er still und leise außerordentlich tiefe Einblicke in sein Privatleben gewährt. Das Zusammensitzen auf dem Sofa inszeniert Hoile allerdings im Stil des "Fear Of A Blank Planet"-Covers: drei Menschen, die wie Zombies vor einer flackernden Maschine sitzen und konsumieren.
Derartigen Eingriffen in die dokumentarische Objektivität zum Dank gewinnen die Szenen einerseits deutlich an Spannung, andererseits tauchen sie die Aussagen des britischen Künstlers aber auch in ein selbstironisch leuchtendes Licht. Hier und da lockert es die zwischen Horror und Melancholie wechselnde Atmosphäre auf und sorgt für Humor, wenn Wilson beispielsweise mit Mickey Mouse-Hut durch Disneyland wandert, um sich mit humorlosem Blick vor die Fahrgeschäfte zu positionieren und in die Kamera zu starren, während seine gruseligen Droneklänge die fröhliche Karussellmusik übertünchen.
Der Soundtrack verdichtet "Insurgentes" ohnehin zu einem surrealen Film, der mit der typischen Trockenheit üblicher Dokumentationen nichts mehr zu tun hat. Es versteht sich von selbst, dass die Ambient-, Prog-, Shoegaze- und Dronecollagen aus der Feder von Protagonist Steven Wilson stammen, zumal der Film begleitend zum gleichnamigen Soloalbum entstanden ist, das 2009 veröffentlicht wurde. Im hochorganischen Zusammenspiel von Bild, Ton und Inhalt wird überhaupt erst deutlich, wie dicht die Idee zur Dokumentation eigentlich ist und wie viel Geschichte sie hat.
Natürlich, Bilder eines Musikers, der aus lauter Wut über die Musikindustrie eifrig iPods zertrümmert, könnten bei Kritikern Steven Wilsons einen Schlüsselreiz ausüben. Auch pendelt Lasse Hoiles insgesamt stilsichere Inszenierung manchmal zwischen Aufgesetztheit und Kunstfertigkeit. Die teilweise aus Porcupine-Tree-Songs bekannte Symbolik – Züge, über den Boden kriechende Menschen mit Gasmasken, eine abgetrennte Hand, nicht zuletzt auch die iPods – erschließen sich in manchen Fällen auf den ersten Blick. Und doch bietet "Insurgentes" einen der tiefsten Blicke auf das Phänomen Musik, das ein dokumentarischer Film überhaupt je zustande gebracht hat.
![8 von 10 :liquid8:](./images/smilies/bewertung8.gif)
Eine weitere Kritik, die eher die musikalischen Aspekte beleuchtet, habe ich bei Musikreviews hinterlegt:
http://www.musikreviews.de/reviews/2010 ... ntes-Film/
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Auch gelini71 begibt sich auf die Fahrt über die "Insurgentes"
“Are you a musician ?“
“Yes !”
“What kind of music do you make ?”
“Wierd shit !”
![Lachen :lol:](./images/smilies/icon_lol.gif)
Mit dem Siegeszug der DVD als Massenmedium für den Musikfan erlebte neben Konzerten und Clipsammlungen ein drittes Genre in den letzten Jahren einen regelrechten Boom – die Musikereigene Dokumentation. Die Musiker können so ohne große Probleme ihr Image bei den Fans bestimmen, die Fans selber freuen sich wie Bolle wenn sie sowasähnliches wie private Aufnahmen oder Situationen ihrer Idole erleben. Eine klassische win/win Geschichte.
Wenn Steven Wilson eine solche Dokumentation über sich macht, dann darf man als Zuschauer sicher sein das dies nicht eine 08/15 Geschichte wird sondern etwas weiter über den üblichen Horizont hinaus geht. Zusammen mit seinem Vertrauten in optischen Belangen Lasse Hoile ist „Insurgentes“ keine normale Dokumentation geworden, sondern eher eine Art Kunstwerk mit Infogehalt und jede Menge Optischen Querverweisen, die unser Vince in seiner Review schon zur genüge beleuchtet hat.
Zunächst die Frage: Was will uns „Insurgentes“ sagen ? Dies ist nicht eindeutig zu beantworten, denn diese Dokumentation verweigert durch ihre Machart eine genaue Bestimmung. Eine Art roter Faden und ein Punkt auf den die Dokumentation immer wieder zurückkommt ist der Besuch von Steven Wilson in seiner alten Schule, wo er sich an seine Jugendzeit erinnert – das er Sport hasste (bis auf Fußball – weswegen er auch auf eine Rugby Schule kam
![Lachen :lol:](./images/smilies/icon_lol.gif)
Dazwischen immer wieder Reisen – Israel, Mexiko, New York, Tokio, Finnland. Wilson ist ein Rastloser, ein Suchender. Immer auf der Suche nach neuen Eindrücken. Nach Menschen die ihn beeinflussen. Er trifft Musikerkollegen wie die Jungs von Opeth, Katatonia oder Produzentenlegende Trevor Horn, er besucht eine Platten- und CD Börse wo er sich mit neuer Musik eindeckt und Fachsimpelt, er lässt sich Tarotkarten legen, die ihm großen Reichtum (!!!) vorhersagen, er trifft Fans und gibt Autogramme oder macht natürlich ein Foto mit ihnen (Logo – die Filmkamera ist ja mit dabei
![Winken :wink:](./images/smilies/icon_wink.gif)
![Lachen :lol:](./images/smilies/icon_lol.gif)
Unterbrochen wird das ganze von Szenen die in den Bereich der Kunst anzusiedeln sind. Immer wieder Menschen mit Tierköpfen die durchs Bild gehen, Steven Wilson mit Gasmaske, Bildverfremdungen, schräge Montagen usw. Dazu als „Musik“ experimentelle Klänge von Wilson Bass Communion Projekt - Musik seiner anderen, zugänglicheren Projekte ist kaum zu hören.
Eine Frage beantwortet diese Doku nur indirekt: Wer ist der Mensch Steven Wilson ? Ähnlich wie bei Interviews, wo man bei Wilson auch zwischen den Zeilen lesen sollte, muß man hier auf die kleinen Details achten. Etwa wenn das Thema Kinder zur Sprache kommt und er auf einmal ganz Wortkarg wird und aussagt, niemals Kinder haben zu wollen weil er dann Angst hätte diese zu verlieren und er nicht wüsste wie er mit diesen Schmerz umzugehen habe. Oder er zugibt bis vor wenigen Jahren extrem schüchtern gewesen zu sein – einen Eindruck, den man auch noch heute hat. Wilson wirkt immer sehr Ernst, verschlossen, nachdenklich, melancholisch. Er taut erst auf wenn er Freunde bzw Vertraute um sich hat, dann kann er auch mal fröhlich sein und lachen. Ich hatte am Ende des Film irgendwie den Eindruck, das Wilson als Mensch ein etwas komischer Kautz ist, eher so eine Art Einsiedler der nur für die Musik lebt – aber vielleicht ist dies auch nur das Bild was er von sich selber vermitteln will, also ein Image das er pflegt. Wenn dem so ist dann ist bei mir der Plan aufgegangen. Witzig dagegen der kurze kleine Moment wo er seine Freundin (??? – keine Ahnung ob die Dame mit Namen Susana seine Freundin ist, ich hatte jedenfalls den Eindruck, so vertraut wie die beiden miteinander umgingen) bittet, doch etwas von Tokio Hotel in die Kamera zu singen.
![Geschockt :shock:](./images/smilies/icon_eek.gif)
Regelrecht in Rage redet er sich wenn das Thema MP3 allgemein und I-Pod im besonderen kommt. Viele seiner Argumente sind richtig, manche aber auch arg Ideologisch geprägt (man sollte Wilson mal sagen das man auf dem I-Pod auch WAVE Dateien abspeichern kann – dann ist das Klang Argument schon mal außer Kraft). Er wiederspricht sich auch manchmal selber – MP3 ist Scheiße, das Internet aber gut und das er in seinem eigenen Studio moderne Digitaltechnik benutzt ist dann selbstverständlich. Und das man seine Musik im MP3 Format kaufen kann ist dann in seiner Inkonsequenz die Krönung (wenn er ein Format so hasst wie er es in dieser Doku aussagt warum bietet er es dann zum Verkauf an ?). Und über die Bilder wo er I-Pods zerstört schweigen wir dann besser, das ist eher unfreiwillig komisch bis peinlich.
„Insurgentes“ ist eine Dokumentation wie es sie so noch nicht gab. Über den Kunstanspruch kann man geteilter Meinung sein, mich hat es eher im Fluß was gestört. Schön im Sinne von Ästhetik sind die Bilder aber durchaus. Wilsons Monologe sind teilweise etwas Sprunghaft, nicht umsonst wird er einmal am Strand von einer Passantin angesprochen das er die Frage nicht vollständig beantwortet habe (was dann zum Dialog führt den ich am Anfang zitiere). Wilson ist ein Freak (im positiven Sinne), ein Besessener, ein Suchender, ein Mensch der der Menschheit was bleibendes hinterlassen will. Einer der in Musik mehr sieht als Hintergrund Berieselung. Der darin was er macht einen Sinn, sogar eine Art „Mission“ sieht. Für den Musik Kunst ist.
Wer der Künstler Steven Wilson ist wird durch diese Dokumentation klar – der Mensch dahinter dagegen bleibt weiter ein Geheimnis. Für Fans logischerweise ein Muß, für die anderen aber wohl eher zu anstrengend. Und das von ihm das eine Bild im Gedächtnis bleibt, wo er mit einer Schrotflinte auf I-Pods schießt ist er dann doch irgendwie selber schuld...
![Lachen :lol:](./images/smilies/icon_lol.gif)
![7 von 10 :liquid7:](./images/smilies/bewertung7.gif)