"We come from the land of the ice and snow | From the midnight sun, where the hot springs flow | The hammer of the gods..." - Es ist im doppelten Sinne kein Zufall, wenn der Oldie-Rock-Hit "Immigrant Song" von Led Zeppelin gleich zweimal im neuen Marvel-Hit "Thor: Tag der Entscheidung" ertönt: Einmal erzählten die Rocker damit schon 1970 eine Geschichte über die nordischen Götter, die nach dem als Götterdämmerung bekannten Event Ragnarok die heiligen Hallen von Valhalla betreten. Andererseits ist es aber die Art, wie sie es erzählten, die für den neuen Auftritt des Donnergottes den Ton angibt: Funkig, laut, mit Krawall und Sprit. Shakespeare-Experte Kenneth Branagh und "Game of Thrones"-Regisseur Alan Taylor hatten sich in den Vorgängern am Hammerschwinger versucht, waren aber stets trotz aller Selbstironie am Kitsch der Comic-Vorlage gescheitert. Comedy-Visionär Taika Waititi wagt im dritten Anlauf den Ausbau von Trash und Pulp und trumphiert auf ganzer Linie: Thor 3 ist der beste Blockbuster des Kinojahres 2017 und einer der kreativsten Filme seiner Art!
Man möchte es Frischzellenkur nennen, doch eigentlich ist auch der neuste "Thor" Marvel-typischer alter Wein in neuen Schläuchen: Wer nach dem Kinobesuch versucht, die Handlung zu rekonstruieren, wird dabei die Formelhaftigkeit und Routine im Script erkennen. Und doch könnte das Resultat nicht frischer wirken. Schon in vergangenen Episoden hatte das Marvel-Team rund um Kevin Feige gut getan, ihre dröge werdenden Blockbuster jungen, engagierten Regisseuren in die Hand zu geben. James Gunn als Verantwortlicher für die "Guardians of the Galaxy" oder Scott Derrickson mit seinem "Doctor Strange" sorgten hierbei für goldiges Entertainment. Mit Waititi können sie aber beide nicht mithalten: Der Neuseeländer bringt schon in den ersten 7 Minuten eines der besten Openings der letzten Jahre in die Lichtspielhäuser. In einer surrealen Höhlenkulisse muss sich Thor dem Feuerriesen Surtur gegenüber behaupten und baumelt daran an einer Kette hängend von der Decke. Blöd nur, dass die sich immer dann wegdreht, wenn Surtur grade zur schurkischen Ansprache ansetzt. Slapstick trifft auf clevere Genreparodie. Als Thor sich befreien kann, und dann das erste Mal "Immigrant Song" erklingt, dürfte das Herz aller 80er Fans höher schlagen. Ganz offensichtlich bedient sich Waititi im Look und im Ton großzügig bei filmischen Vorbildern jener Zeit: "Krull", "Tron", "Flash Gordon", "Masters of the Universe" und das mal mehr, mal weniger offensichtlich. Das Surtur von "Highlander"-Schurke Clancy Brown vertont wird, ist da sogar nur mehr ein zusätzliches Bonbon.
Die Frischzellenkur erfolgt im ersten, schnell erzählten Drittel. In wenigen Minuten wird der Cliffhanger aus dem Vorgänger betont unspektakulär abgefrühstückt, Anthony Hopkins als Odin (dessen Besetzung allein für die prätentiöse theatralische Schwere der Thor-Filme steht) zu einem Cameo-Auftritt verdammt, und als endlich Cate Blanchett, rustikal gegen den Strich besetzt als Lack-und-Leder-Luder, auftaucht, macht sie erstmal Thors Hammer kaputt und schießt ihn auf einen kunterbunten Müll-Planet ins All. Mit einer schier endlos Anzahl an gelungenen Gags (Selfie mit Thor!) verknüpft Waititi spielerisch leicht eine Retro-Sci-Fi-Show ohne Widersprüche mit zeitgemäßen Effekten, führt die junge Action-Besetzung (Chris Hemsworth, Tom Hiddleston, Idris Elba) mit Altstars (Jeff Goldblum, Cate Blanchett) zusammen und verbindet eine popkulturelle Achterbahnfahrt rigoros mit den erwarteten Verknüpfungen mit anderen Filmen des Marvel-Universums. Während also einerseits Jeff Goldblum einem Nero Tribut zollt und Chris Hemsworth, sichtlich profitierend von der neuen humorigen Ader, mit Kurzhaarfrisur Heldenbilder vergangener Kino-Epochen persifliert, haben weitere Avenger ihre Auftritte. Benedict Cumberbatch gibt sich für einen kurzen Gag als Doctor Strange erneut die Ehre, ein anderer sorgt für das Highlight der Chose. Mark Ruffalo ist als Hulk zurück, und nach beiläufiger, aber eigentlich egaler Erklärung, wie der vom Ende von "Avengers: Age of Ultron" jetzt ins All zu "Thor" gelangt ist, gibts auf die Mütze: In einem Gladiatorenkampf müssen die beiden Arbeitskollegen sich fetzen, der Hulk (analog zum gleichnamigen Fußballer) von begeisterten Fans umjubelt. Modernes, traditionelles, bewährtes, innovatives; ein faszinierendes Konglomerat Massenunterhaltung, dass wahnwitzig Waititis Film in 5 Minuten zusammenfasst.
In all dem gibt es aber auch eine ernste Seite, denn Waititi vergisst seine Franchise-Zugehörigkeit nicht. Ironischerweise wirkt es fast, als nähme der dynamische Jungregisseur die nordische Mythologie sogar deutlich ernster, als seine weniger komödiantisch erzählenden Vorgänger. Dem im englischen titelgebenden Großereignis "Ragnarok" wird er visuell definitiv gerecht. Futuristische und anachronistische Elemente müssen immer dann weichen, wenn die Mythologie Luft zum atmen bekommt. Dann dürfen die Helden auch wieder archaisch sein, und dann wird es auch mal bedächtig und staunend im Saal, nicht zuletzt dank der überragenden Musik von Mark Mothersbaugh. Allerdings bleibt - passend zur Müllplanet-Kulisse - die Entrumpelung der Marvel-Mechanismen durchgehend präsent. Mit der Macho-Attitüde des Helden wird laufend gebrochen, da Tessa Thompson als versoffene Valkyire eh männlicher als ihre Co-Stars auftritt. Die rasanten Actiongewitter mit Raumschiffen sind mehr Arcade-Automat als "Star Wars". Und wenn es mal krawallig wird, dann stets so stümperhaft (man denke nur an den köstlichen Steinmenschen Korg), dass es postheroisch anmutet. Alles, was Waititi tut, ist den mythologischen Ansatz konsequent zu betonen - und dadurch umso deutlicher hervorzustellen, warum die Götterwelt Thors und Odins in einem Sci-Fi-Setting als Superheldenfilm verpackt großer Blödsinn ist. Und als klar wird, dass auch die Regie um diesen Quatschkram weiß, und ihn sogar offen zur Schau stellt, fühlt man sich als Zuschauer von Marvel so ernst genommen wie schon lange nicht mehr. Großes Tennis!
Fazit: Ein gutes hat der neue "Thor" sogar für Leute, die mit Comic, Comedy, Videospielen und Action gar nichts anfangen können. Man wird endlich wieder an einen guten Song-Klassiker erinnert. So wird auch der Marvel-faulste Zuschauer singend aus dem Kino wandern: "We'll drive our ships to new lands | To fight the horde, and sing and cry | Valhalla, I am coming!" So viel Spaß kann der Weltuntergang machen!
