Da ich eh nichts Besseres zu tun habe, ranke ich die Filme mal, die ich dieses Jahr erstmals gesehen habe und die auch tatsächlich (zumindest in Deutschland) 2020 erschienen sind:
36. Artemis Fowl (Kenneth Branagh)
Einer der grässlichsten Filme des Jahres hat sich vor einem öffentlichen Debakel gerettet, in dem er einfach bei Disney+ erschienen ist, statt sein hässliches Gesicht auch noch im Kino zu zeigen. Die Umsetzung der Romanreihe, die es literarisch locker mit "Harry Potter" und Konsorten aufnehmen kann, ist ein Albtraum. Artemis wird im Film zum unsympathischen, neunmalklugen Rotzbengel, in einer Story, die so wenig zu erzählen hat wie sie bieder inszeniert ist. Aus einer an sich vielversprechenden Mischung aus Sci-Fi und Fantasy wird hier eine austauschbare CGI-Orgie mit dummen Elfen, die noch dümmere Laserwaffen einsetzen und generischen, reizlosen Wortmüll von sich geben. Humoristisch gemeinter Höhepunkt dieses filmgewordenen Auffahrunfalls: Ein Moment, als der mürrische Erzähler einen ahnungslosen Passanten anfurzt. Niveaulimbo: Der Film!
35. The New Mutants (Josh Boone)
- Ewig verschoben ist das "X-Men"-Spinoff nun erschienen. Endlich? Wohl kaum. Der Mix aus "The Breakfast Club", "Glass" und "A Cure for Wellness" ist größtenteils inkompetentes Filmemachen, und gelingt nicht mal als harmloser Horrorspaß für Teenager. Die durch die Bank tolle Besetzung wird in eindimensionalen Rollen verheizt und darf einen sinnentleerten Dialog nach dem anderen sprechen. Furchtbar dumm: Nach einer Minimalhandlung mit Schockmomenten aus der Rummelplatz-Geisterbahn wird ein ödes CGI-Massaker ans Ende gestellt, welches in seinen grotesken Ausartungen auch noch metaphorisch gemeint ist – und das in so einem bierernsten, langweiligen Durcheinander.
34. The Old Guard (Gina Prince-Bythewood)
- Der Actionfilm mit Charlize Theron von Netflix fühlt sich wie der Pilotfilm für eine Serie an, die nie bestellt werden wird. Gott sei Dank, muss ich hinzufügen. Das lausige Script um unsterbliche Söldner (die sich letztlich als Abklatsch einer Superheldentruppe herausstellen) ist mit wenig Mühe zusammengeschustert worden und hat kein Interesse an Charakterzeichnung oder einem vernünftigen Worldbuilding. Insgesamt dürfte der Film mehr Kopfschüsse in Gefechten verzeichnen als Dialogzeilen. Ein trauriges Resümee für einen Fantasy-Actioner, der ausgerechnet in den Fantasy- und Actionmomenten nichts Originelles zu bieten hat. Größtes Ärgernis: Das krude, unrhythmische Editing.
33. Die fantastische Reise des Dr. Doolittle (Stephen Gaghan)
- Eine Verschwendung von Geld & Lebenszeit. Robert Downey Jr. kaspert sich einen als die bekannte Buchfigur, die hier anders als zuletzt in den Eddie-Murphy-Vehikeln wieder näher an ihre Ursprünge zurückgeführt wird, aber genauso albern bleibt. Der furchtbar künstlich getrickste Kinderfilm hat keine interessante Botschaft, eine vollständige Abwesenheit liebenswerter Charaktere und ganz besonders schlimm: Er ist fürchterlich unwitzig. Das große Finale besteht aus einem ausgedehnten Furz- und Fäkalienwitz, merkwürdige Anspielungen an "Der Pate" sind tonal dermaßen daneben, dass meine Hand regelmäßig mit Wucht die Stirn gesucht hat. Ein Schuss in den Ofen, leider, und das mit Ansage.
32. Bill & Ted Face the Music (Dean Parisot)
Die Kultdilogie aus den späten 80ern / frühen 90ern für einen Neuaufguss zurückzuholen ist stellvertretend für die Einfallslosigkeit im Hollywood-Sektor: Lieber Altes aufwärmen als Neues erdenken. Doof nur, wenn dieses alte Material so sehr in seine Zeit eingebunden war, dass es 2020 nur noch wie infantile, altmodische Selbstparodie wirkt. Dermaßen einfalls- und witzlos hätte die Rückkehr von Bill & Ted aber dann auch wieder nicht ausfallen müssen. Aber: So sieht ein Film eben aus, wenn es ihn gar nicht geben sollte. Wären Keanu Reeves und Alex Winter nicht, man könnte diese schon in wenigen Monaten für immer vergessene, unnötige Mikrowellen-Ware getrost vergessen, doch das Duo hat so viel Spaß dabei, sich wieder als Kindsköpfe zu präsentieren, dass sie in wenigen Momenten doch ansteckend sind.
31. Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga (David Dobkin)
Wohlfühl-Kino, bzw. Wohlfühl-Streaming, immerhin ist die ESC-Verfilmung direkt bei Netflix gelaufen. Als Alternative zum dieses Jahr ausgefallenen Show-Event mag der Film seinen Job erfüllt haben, eigentlich ist er aber eine konzeptionelle Mogel-Packung. Der Humor ergibt sich so gut wie nie aus dem ESC, aus seinem Ruf, aus seinen Abläufen oder seinen Traditionen. Es entpuppt sich letztlich als das x-te Will-Ferrell-Vehikel, welches zufällig vor der Kulisse der europäischen Musikveranstaltung stattfindet. Mehr will die Komödie, die nebenbei noch Stars wie Pierce Brosnan oder Rachel McAdams an Bord hat, zugegeben aber nicht sein. Auf keine Kuhhaut gehen dafür fast sämtliche Songs und die nervig-erzwungenen Gastauftritte von ESC-"Ikonen" wie Conchita Wurst, Alexander Rybak oder Netta.
30. Tyler Rake: Extraction (Sam Hargrave)
Ultrabrutale Endlos-Action. Klingt gut? Nun: Für Action-Puristen ist das Netflix-Original mit Chris Hemsworth sicher eine Ausnahmeerscheinung in 2020, der die Härte vergangener Tage beschwört und eine furios geschnittene Ballerszene an die nächste reiht. Wer jetzt nach dem Plot fragt, für den gibt es keine Antwort: Eine Geschichte erzählt dieser Film nur notdürftig, lieber reiht er stumpfe, unendlich lange Tötungsszenen aneinander. Das ist filmisch nicht schlecht gemacht (eine äußerst aufwendige Szene, die als One-Shot konzipiert ist, sticht heraus), langweilt aber, weil die gewaltverherrlichende Tötungsorgie so stupide und substanzlos wie die letzten "John Wick"-Filme ausfällt. Handwerklich sind sie denen und eigentlich der gesamten Genre-Konkurrenz wenigstens deutlich überlegen. Der überflüssige Fortsetzungs-Köder ist dann bei einem Film ohne jede Spur von Handlung aber irgendwie amüsant.
29. The Trial of the Chicago 7 (Aaron Sorkin)
Auch Aaron Sorkin ist mittlerweile zu Netflix abgewandert und hat den namentlich beeindruckendsten Cast des Jahres zusammengestellt. Sorkin gilt als brillanter Autor, doch dieses Mal wird sein Stil zur Fassade: Der Gerichtsfilm und die schnellen, rhetorisch perfekt ausgeklügelten Dialogzeilen sorgen für eine unnachahmliche Coolness, verhindern damit aber das Aufkommen echter Emotionen. Wie Sorkin versucht, mit verschiedenen komplexen Ideen zu jonglieren und dabei so akkurat wie möglich den Prozess von 1969 nachzuzeichnen, ist löblich, aber eine zu große Herkulesaufgabe für den Autorenfilmer. Letztlich begeht sein Werk die Todsünde aller Filme: Es langweilt über zu weite Strecken, es erstickt in seinen prestigesuchenden Gesten. Ein beeindruckender Film, aber weiß Gott kein wirklich guter.
28. Vergiftete Wahrheit (Todd Haynes)
Wäre Mark Ruffalo kein Schauspieler, der jedem Stoff interessante Seiten abgewinnen kann, wäre dieses Biopic umso schwerer zu verkaufen gewesen. Der Umweltskandal um das Chemieunternehmen DuPont ist spannender, hochaktueller Filmstoff, der hier aber besonders bräsig und düster erzählt wird, dem dabei leider das Momentum tonal ähnlicher Stoffe wie "Spotlight" abgeht. Schade ist, dass die Erzählweise so konventionell und vorhersehbar abläuft. Auf diese Weise setzt sich die Empörung kaum ein, schlimmer noch: Dem Film gelingt es zu keiner Sekunde, die echten komplexen Zusammenhänge zwischen Umweltschutz, Wirtschaft und juristischer Verflechtung aufzuzeigen, womit das eigentliche Sujet narrativ ohne eine Entsprechung dasteht.
27. Onward: Keine halben Sachen (Dan Scanlon)
Anspruchslose Unterhaltung für die Kleinen, die für einen Pixar-Film erstaunlich schluderig daherkommt. Die ersten 15 Minuten sind ein grausiges 80er Jahre Teendrama, danach wird es etwas besser. Sobald die Handlung Fahrt aufnimmt, gibt es viele schöne Abenteuerabschnitte à la "Indiana Jones" oder "Der Herr der Ringe", denen jedoch – so ehrlich muss man sein – das emotionale Futter fehlt. So brillant die Animationen auch sein mögen, so seltsam unausgegoren ist die Fantasywelt geraten: In einer Welt, in der Zauberer, Elfen, Orks und Trolle nebeneinander leben, ist vor einigen Generationen die Magie verloren gegangen, weil moderne Technik wie Flugzeuge oder Smartphones für Bequemlichkeit sorgen. Eine tolle Idee, aber sie dient nur als Setting und wird nie groß vertieft, schlimmer noch, der Film behandelt ganz andere Themen, die vom Setting unangetastet bleiben. Ein ähnlicher Blender wie "Zoomania", aber trotzdem noch nett.
26. Mank (David Fincher)
Cineastischer Elitarismus in Reinkultur! Fincher verfilmt die Entstehungsgeschichte von "Citizen Kane" aus Sicht des Drehbuchautoren Herman J. Mankiewicz und erlaubt sich den Spaß, sämtliche Szenen in derselben Ästhetik wie "Citizen Kane" zu verfilmen, bzw. den Klassiker von Orson Welles immer wieder direkt zu zitieren. Das ist in dieser spielerischen Herangehensweise und hinsichtlich des mehr als dünnen Plots eigentlich nicht mehr als ein sehr teurer, sehr aufwendiger Studentenfilm, den die irren Produzenten bei Netflix wohl in Hoffnung auf einige Oscar-Statuen finanziert haben. Hinsichtlich des Drehbuchs ist das totaler Käse, der auf überkonstruierte Art und Weise versucht, die damaligen Gouverneurswahlen in Kalifornien als politischen Kommentar zum Trump-Amerika aufzublasen. Eine charmante Fingerübung, als funktionaler Spielfilm aber für jeden, der sich nicht für Filmgeschichte interessiert, kaum zu gebrauchen.
25. Der schwarze Diamant (Benny Safdie, Josh Safdie)
Wäre Regisseur John Cassavetes ein Millennial gewesen, hätte das vielleicht diesen Film ergeben. Könnte man Filme wie Menschen betrachten, sie personifizieren, so wäre das hier ein Adrenalin-Junkie mit ADHS. In rastloser Inszenierung jagt Adam Sandler durch eine Art kunterbunten hyperschnellen Großstadtthriller, wobei hier vor allem ein Schnittmassaker verdeutlichen soll, wie kurzweilig das Treiben ist. Anders als ähnliche Turbo-Filme, die sich aber wenigstens zwischendurch dann doch kurze Atempausen gönnen, gibt es hier keine Gedanken ans Luftholen. Das ist in dieser Konsequenz fraglos inspirierend, und Adam Sandler in der manischen Hauptrolle ist eine kleine Schauspiel-Sensation, doch für nicht jeden ist diese anstrengende Sinnesüberlastung ein filmisches Erlebnis. Ich für meinen Teil habe sie in der zweiten Hälfte als ziemliche Tortur empfunden.
24. Jim Knopf und die Wilde 13 (Dennis Gansel)
Die erste Realverfilmung der Jugendbuch-Klassiker von Michael Ende war eine erstaunlich gelungene Adaption, die dicht am literarischen Original und doch mit hübschen visuellen Einfällen die Geschichten um Jim Knopf und Lokomotivführer Lukas ins 21. Jahrhundert transportierten. Beim zweiten Streich gelingt das nicht mehr wirklich, weil die Leichtigkeit und die Entspanntheit abhanden gekommen sind. Teil 2 ist größer, düsterer und gleichzeitig wie so häufig bei Sequels hauptsächlich mehr von allem, was beim ersten Mal gut funktioniert hat. Das Buch von Ende wird wieder überzeugend auf die Leinwand gebracht, doch schon das konnte seinerzeit nicht mehr mit der erfrischenden Simplizität des Vorgängers mithalten. Ein Phänomen, welches sich leider beim Vorgang der Adaption mit in den Film eingeflossen ist.
23. Soul (Pete Docter)
Der ambitionierteste Pixar-Film bislang bekommt nur einen Start bei Disney+ – eine kleine Tragödie. Wer hätte schon erwarten können, dass in einem Animationsfilm, dessen Hauptzielgruppe immer noch Kinder sind, u.a. C.G. Jung auftaucht und über das Unterbewusste spricht. Oder in der Szenen, die abstrakt das "Dasein der Seele außerhalb der irdischen Existenz" abbilden sollen, der Filmklassiker "Irrtum im Jenseits" von 1946 zitiert wird. So weit hat sich Pixar noch nie aus dem Fenster gelehnt – und dementsprechend überladen ist der Endeindruck. In einem Mix aus "Alles steht Kopf", "Coco" und "Alle Hunde kommen in den Himmel" will das Studio gleichzeitig die afroamerikanische Lebenswelt im Jahr 2020 abbilden, zivilisationsanalytische Fragen zum Sinn des Lebens stellen, spirituelle Richtungen der Weltreligionen vereinen und dennoch vor allem Kinder unterhalten. Das Ergebnis ist ein unausgegorener Film, der seine komplexen Ideen immer zugunsten von albernem Slapstick und einer lächerlich simplen Körpertausch-Geschichte zurückstellen muss, und nie die emotionale Kraft erreicht, die sich mit Pixar assoziieren lässt. Ausgerechnet diesem Film fehlt bei aller Ambition letztlich die Seele, wenn er auf den letzten Metern eine kraftvolle Botschaft für Hollywood-Kitsch opfert.
22. Birds of Prey: The Emancipation of Harley Quinn (Cathy Yan)
Manchmal macht es einfach Klick, und dann will ich auch gar nicht groß herum analysieren. Der neueste Film aus dem DC-Filmuniversum ist ein kleiner, derber Actionfilm-Spaß rund um Harley Quinn und ein paar andere Powerfrauen, die in launiger Manier Knochen zertrümmern und Bösewichte zerprügeln, wie es sonst nur in "Atomic Blonde" oder "The Raid" vorgemacht wird. Sicher: Das Drehbuch ist eine unstrukturierte Aneinanderreihung chaotischer Szenen, keine der Figuren bekommt sonderlich viel Substanz, aber was hier betrieben wird, ist kein Comicblockbuster von der Stange, sondern ein ästhetisch aufpoliertes Comeback der B-Movie-Zunft, die mancher gerne für ausgestorben hält. Wer sich drauf einlassen kann, hat einen netten Filmabend vor sich, in dem der unbestreitbare Höhepunkt eine surreale Traumsequenz ist, in der Margot Robbie als Harley Quinn sich in das Musikvideo von "Diamonds are a girls best friend" von Marilyn Monroe hineindenkt.
21. Die obskuren Geschichten eines Zugreisenden (Aritz Moreno)
Eine spanische Groteske durch und durch, doch leider verwechselt dieser thematisch interessante Film regelmäßig Tempo mit Enthusiasmus. Die schwarze Komödie ist irre schnell erzählt, und dabei durchweg unterhaltsam, doch versucht sie auch so krampfhaft an die Meisterwerke von Luis Buñuel zu erinnern, dass sie manchmal vergisst, sich die Zeit zu nehmen, um etwas Eigenes zu werden. Gestaltlerisch ist das nicht wirklich überzeugend, eine eher wirre Mischung aus verschiedenen Stilen, die kein einheitliches Ganzes formen. Der Humor aber zündet durchaus, wenn sich aus den im Titel behaupteten obskuren Geschichten mehrere Filme im Film ergeben, die in ihrer jeweiligen Ausrichtung zu überraschen wissen. Da es sich hier um einen Debütfilm handelt, könnte bei Folgewerken mehr inszenatorisches Selbstbewusstsein zu den vorhandenen schrägen Ideen hinzukommen.
20. 1917 (Sam Mendes)
Hier wird "Dunkirk" mit der Ästhetik von "Birdman" inszeniert. Ohne sichtbaren Schnitt begibt sich ein britischer Soldat von seinem aktuellen Standort bis ganz nach vorne an die Front, um eine wichtige Botschaft zu übermitteln und damit einen Haufen an Menschenleben zu retten. In der ersten Hälfte sorgt die unendliche Kamerafahrt für eine starke Imersion ins Geschehen und hat einige famose Momente parat. Besonders im Gedächtnis blieb mir die Stelle, in der man meherere Minuten einem sterbenden Soldaten beim aus dem Leben scheiden beiwohnen kann und sieht, wie sich langsam die Farbe aus seinem Gesicht verabschiedet. Im späteren Verlauf wird die mit zahlreichen Gastauftritten von Stars (Colin Fith, Andrew Scott, Benedict Cumberbatch, Mark Strong) gepflasterte Kriegsfilm-Odyssee zum absurden Adventure-Videospiel mit Level-Logik und strapaziert die Glaubwürdigkeit des Konzepts zu arg über. Ein interessanter, durchaus nicht unspannender Film, der jedoch etwas blutleer und heroisch verbleibt.
19. Enola Holmes (Harry Bradbeer)
Abseits der Kinoleinwände ermittelt bei Netflix "nur" die kleine Schwester von Sherlock Holmes, die ihrem Bruder natürlich im Hinblick auf ihren Verstand ebenbürtig ist. Enolas Geschichte ist ein Jugendfilm aus dem Lehrbuch, und lebt zu 100 Prozent vom subtilen, reifen Spiel der Hauptdarstellerin Millie Bobbie Brown. Sie darf ihre Spielfreude besonders immer dann vorführen, wenn sie sich direkt an den Zuschauer richtet und die vierte Wand durchbricht, ein Stilmittel, dessen komödiantisches Potenzial hier nicht ausgereizt, aber vernünftig genutzt wird. Das Drumherum ist ein handelsüblicher Krimi, mit all den kleinen Wirrungen, die diese Filme so in sich haben – und wenn man ganz ehrlich ist, hat all das mit Sir Arthur Conan Doyle und dem Mythos rund um Sherlock Holmes rein gar nichts zu tun. Wenn einen das nicht stört, ist der harmlose Spaß den Abend durchaus wert.
18. Cats (Tom Hooper)
Liebe Internetgemeinde: Was war an dieser Musical-Verfilmung bitte so furchtbar? Natürlich lässt sich der Geist von Andrew Lloyd Webber nicht in einen Film übertragen. Natürlich sieht eine am Computer erzeugte Zwitterwesensversion von Mensch und Katze surreal und unwirklich aus. Natürlich können Stars wie Ian McKellen, Taylor Swift oder Jason Derulo nicht mit echten Musical-Darstellern konkurrieren. Trotzdem ist das hier ein Film geworden, der künstlerisch ein Wagnis eingeht, der mutig mit seinen Stilmitteln eine Melange aus Theater und Kino erzeugen will. Nicht jeder Einfall glückt dabei, dennoch ist diese ziemlich direkte Übertragung des Bühnenstücks in ein filmisches Kleid vor allem eine große Liebeserklärung an das Musical-Theater – und hat die groteske Aufregung drum herum nicht verdient.
17. Jojo Rabbit (Taika Waititi)
Ein kleiner Junge aus der Hitler-Jugend, dessen imaginärer Freund der Führer persönlich ist, entkommt durch die Freundschaft zu einem jüdischen Mädchen seiner Indoktrinierung. Dieser Plot könnte in jedem Genre erzählt werden und deshalb versucht der Film gleich alle Tonalitäten auf einmal. Der emotional herausfordernde schnelle Mix aus bitterer Tragödie und herzenswarmer Komödie ist eine der ungewöhnlichsten Herangehensweise an das dunkle Kapitel der NS-Zeit seit langem, funktioniert über weite Strecken aber mit einer bemerkenswerten Treffsicherheit. Der Humor ist erfreulich subversiv und damit tiefgehend, die NS-Ikonographie und ihr Pathos werden auf hintergründige Weise vorgeführt, sodass sich mit sicherem zeitlichen Abstand zu dieser Zeit darüber Amüsement einstellen mag. Nicht so gelungen ist der Versuch, parallel auch eine Coming-of-Age-Geschichte zu erzählen, da so die Fokussierung auf die schlauen historischen Kommentare verwässert wird. Ebenfalls gestalten sich die Auftritte von Sam Rockwell und Rebel Wilson in unnötigen Klischeefiguren als tendenziell nervig.
16. Emma (Autumn de Wilde)
Wirklich überzeugende, in ihrer sinnlichen Erzählweise sogar emotional kluge Verfilmung des literarischen Meisterwerks von Jane Austen. Mit viel Mühe wird eine prunkvolle Welt gezeichnet, in der die Titelfigur beständig arrogantes Auftreten mit gesundem Selbstbewusstsein verwechselt. Die Risse im Marmor, durch welche die Vorlage zu einem Meilenstein in Hofdarstellungen wurde, sind hier minutiös herausgearbeitet und ein großer Spaß, auch wenn Anya Taylor-Joy vielleicht an manchen Stellen fehlbesetzt wirkt. Statt einer simplen Romantic Comedy bemühen sich die Macher des Films um eine feministische Neuinterpretation des Romans. Nicht an allen Stellen geglückt, ist der Unterhaltungswert dennoch hoch und manche Dialogzeile so elegant, dass sie sich leicht auch Wochen nach der Filmsichtung erinnern und in eigenen Wortgefechten einbinden lässt.
15. Knives Out (Rian Johnson)
Den ungewöhnlichsten Genre-Twist des Jahres hat sich Rian Johnson zuzuschreiben und es gehört schon eine große Portion Irrwitz dazu, ein klassisches Agatha-Christie-Whodunnit innerhalb weniger Minuten in einen beinharten Suspense-Thriller der Marke Alfred Hitchcock umzuwandeln. Über weite Strecken haftet dem etwas anderen Krimi so der postmoderne Schleier der Unvorhersehbarkeit an, ehe letztlich dann doch auf den Genre-üblichen Erklärbärmonolog des hier gar nicht mal so schlauen Ermittlers zurückgegriffen wird. Die fabelhafte Besetzung ist bis in die kleinste Rolle toll besetzt, besonders hervorragend ist Ana de Armas in der weiblichen Hauptrolle und der majestätisch agierende Christopher Plummer, der nur in Rückblenden auftritt – immerhin ist er die Leiche. Etwas zu schlau will das Drehbuch aber schon sein und in der zweiten Hälfte werden so viele unglaubwürdige Wendungen aneinandergereiht, dass nur noch der Spaß-Faktor entscheidet, wie sehr man bereit ist, hierüber hinwegzusehen.
14. Da 5 Bloods (Spike Lee)
Jetzt ist sogar Spike Lee bei Netflix gelandet? Ja, so ist es. Und ungeachtet dessen, wie man zum Streamingmarkt stehen mag, ist sein Kriegsdrama, welches er dort lanciert hat, die Sichtung allemal wert. Wenn die ehemaligen Vietnam-Veteranen nach mehreren Jahrzehnten in das Land zurückkehren, das sie einst traumatisiert verließen, ergibt das viele starke Momente, die auch aus dem Fundus der Filmgeschichte schöpfen: Eine Bar heißt "Apocalypse Now" und natürlich darf Wagners Wallkürenritt nicht fehlen. Als amüsantes Roadmovie mit Tiefgang funktioniert der Netflix-Oscaranwärter spielerisch. Bei den Versuchen, gleichzeitig auch einen Kommentar zum strukturellen Rassismus in den USA einzuweben, wandelt er Film aber auf der Schwelle zwischen klugen Beobachtungen (herrlich: Ein Dialog über "Rambo" stellt fest, wie rassistisch auch das Denken in Hollywood war und ist) und plumpen Überzeichnungen.
13. Der Fall Richard Jewell (Clint Eastwood)
Großmeister Clint hat einen neuen Film und erst nach einer gefühlten Ewigkeit gab es den auch mal bei uns zu sehen. Gelohnt hat sich die Wartezeit: So schnörkellos und aufrichtig an der Spannungsschraube können nur wenige drehen und für Eastwood ist das gerade mal Routine. Sieht aber nie so aus, fühlt sich nie so an. Strukturell und thematisch ist die Verfilmung des Sicherheitsmannes, der beim Attentat auf die Olympischen Spiele in Atlanta 1996 eine entscheidende Rolle spielte, eng mit seinem Heldenporträt "Sully" verbunden und insgesamt ist das Werk etwas zu groß, etwas zu aufgedunsen auf verschiedene Akteure, um die selbe emotionale Stringenz von "Sully" zu beweisen. Trotzdem ist das großes, spannendes Kino nach wahren Begebenheiten und die Sichtung definitiv wert.
12. Der Unsichtbare (Leigh Whannell)
So effektiv darf Horror gerne häufiger sein. Dass hier ein unsichtbarer Killer Jagd macht, ist nicht der wahre Grund, warum es sich bei diesem Film leicht gruseln lässt. Als erster Genre-Film verarbeitet diese lose H.G. Wells Adaption sozialkritische Aspekte mit existentialistischen Zwischentönen. Elisabeth Moss ist großartig in der Rolle der Verfolgten, die nicht einfach bloß die nächste Scream Queen ist, sondern ein Missbrauchsopfer. Der smarte Dreh für diese moderne Neuinterpretation ist die Verarbeitung des #metoo-Skandals. Statt eines Monsters heißt das wahre Grauen hier toxische Maskulinität. Ohne erhobenen Zeigefinger wandelt sich das Horrordrama zum Ende so in eine feministische Ermächtigungsgeschichte.
11. Waves (Trey Edward Shults)
Eine eigensinnige Betrachtung des sogenannten "American Way of Life", in welchem die Familie gerne als Rückzugsort, als sicherer Hafen propagiert wird. Hier steht sozusagen der "Afroamerican Way of Life" im Vordergrund, in dem die Familie nicht weniger wichtig ist, aber auch einen enormen Druck ausübt. Wie "Moonlight" wird die Dekonstruktion fragiler schwarzer Männlichkeit betrachtet und in nüchternen, aber nachdenklichen Bilder aufgedröselt. Formell ist das ein brillantes Drehbuch, einzig die popkulturell aufgeladene, farblich warme Inszenierung schießt in ihrem Musikvideo-Pathos gelegentlich über das Ziel hinaus. Die emotionale Kraft dieses Films mindert das keineswegs.
10. Für Sama (Waad al-Kateab, Edward Watts)
Mit Zeitsprüngen und Smartphone-Aufnahmen aus verschiedenen Jahren zeigt dieser großartige Dokuementarfilm den Syrienkrieg von Baschar al-Assad gegen einen Teil des eigenen Landes aus der Perspektive einer Mutter aus Aleppo. In ungestellten, unaufdringlichen Wechseln wird so die gekippte Stimmung im Land deutlich: Von der Studentenrevoltevon 2012 bis ins Jahr 2016, dem Moment, in dem Waad al-Kateab (die zu ihrem eigenen Schutz ihren Namen änderte) ihr Heimatland für immer verließ. Ein zeitgemäßes, erschreckendes Porträt, das sich deshalb so tief ins Unterbewusstsein eingräbt, weil es in seiner Handykamera-Ästhetik die Unaufgeregtheit von Social Media Videos auf Instagram für sich einnimmt, und sie mit Momenten des Schreckens füllt.
09. The Peanut Butter Falcon (Tyler Nilson, Michael Schwartz)
Endlich mal ein großes, in seinen Motiven und Themen uramerikanisches Drama um Personen, welches sich nicht gezwungen fühlt, auf die Tränendrüse zu drücken. Verdammt nochmal, so gestaltet sich ein gefühlvoller Film, der echte Gefühle transportiert und sie nicht behaupten muss. Cineastische Empathie kann so einfach sein, in dem man die Figuren nicht im Dienste eines Plots oder einer Aussage stellt, sondern sie wie in dieser Tragikomödie kommunizieren lässt – verbal und nonverbal. Wenn der junge am Down-Syndrom erkrankte Mann von der Diskriminierung berichtet, die ihm im Alltag begegnet, oder wenn seine idealistische Pflegerin jeder Zeit alles für ihn stehen und liegen lassen würde, ist das kein Kitsch der Marke Traumfabrik, sondern eine Bestandsaufnahme verunsicherter, junger Menschen, die versuchen, in ihrem Leben einer Richtlinie zu folgen, die sie selbst noch nicht verstanden haben oder definieren können. Aufrichtiges Kino, ohne Plädoyer, mit (Fein-)Gefühl.
08. Queen & Slim (Melina Matsoukas)
Was wurde dieser Film nicht stark missverstanden? Überall las man von der afroamerikanischen Version der "Bonnie & Clyde"-Geschichte. Doch mit Arthur Penn hat dieser Film rein gar nichts zu tun, denn der Fokus liegt nie auf der Sexualisierung von Gewaltikonographien. Stattdessen wird hier das festgefahrene Rassenverständnis der USA unter dem Mikroskop zensiert, ohne auf der sogenannten White Trash Sozialisation herumzuhacken. Offensichtlich wurde dieser Film mit sehr viel Wut im Bauch gedreht, und einige Monate später veröffentlicht hätte er wie kein anderer die politische Stimmungslage in den #BlackLivesMatter-Monaten auffangen können. Das hier mag ein Personenstück, ein Thriller sein, und es ist doch ein durch und durch politischer, ideologischer Film, der aufrütteln will – was ihm ohne große Mühe gelingt.
07. Tenet (Christopher Nolan)
Ist das Größenwahn, eine für sich betrachtet philosophische Fingerübung als Multimillionen-Produktion umzusetzen? Wird diese Geschichte nur deshalb als Actionfilm, als postpostmoderne "James Bond"-Iteration aufgeladene Handlung erzählt, um den Mainstream in dieses selbstreflexive Stück Kino zu täuschen? Klares Ja. Verwerflich allein ist das gar nicht, wenn die Mischung so virtuos und ausgeklügelt ihr Spektrum an Raffinesse auf der Leinwand entfaltet. Es ist leicht, dieses schwierige Stück Film als Sci-Fi-Epos misszuverstehen, als physikalischen Zeitreisefilm, denn im Kern geht es um die Philosophie der Zeit, sowohl im echten Leben als auch in der Erzählkunst. Christopher Nolan gelingt ein mutiger, mit Aussagen beinahe überladener cineastischer Essay. Muss er sich dafür entschuldigen, diesen auf die möglichst unterhaltsamste Art und Weise inszeniert zu haben?
06. Pinocchio (Matteo Garrone)
Sein "Das Märchen der Märchen" gehörte zu den besten Filmen der 2010er und ist das zentrale Märchenfilm-Meisterwerk der jüngeren Filmgeschichte. Nach einem Ausflug in Mafia-Gefilde im ähnlich meisterhaften "Dogman" backt Matteo Garrone nun kleinere Brötchen und verfilmt ohne großes Aufsehen die Geschichte des hölzernen Knaben, der ein normaler Junge werden will. Ohne große Abweichungen von der Originalgeschichte besticht diese Version durch ihre schaurig reale Optik, durch die die perfide Pädagogik der berühmten Story zum skurrilen Bodyhorror transformiert wird. Allein das ist eine Meisterleistung, wäre da nicht auch noch die einmalige Ausstattung, die dieses Jahr in Punkto Detailverliebtheit und Patina im Filmbereich ihres Gleichen sucht und den richtigen Spagat aus Märchenverfilmung und Kunstkino hinbekommt.
05. Jean Seberg: Against all Enemies (Benedict Andrews)
Schauspielerin Jean Seberg wird filmhistorisch vor allem durch ihre Rolle im Nouvelle-Vauge-Klassiker "Außer Atem" assoziiert. Das ihr jetzt ein Film gewidmet wurde, der sich ebenso in der Zukunft als Klassiker herausstellen könnte, ist eine der tollen Geschichten, die das Kino selbst schafft. Kristen Stewart spielt die französische Film-Ikone mit faszinierendem Dekor. Der Fokus liegt nicht auf Sebergs Filmen, sondern auf ihrer Affäre mit Bürgerrechtler Hakim Jamal, durch welche sie zur Zielscheibe des FBI wurde. Über 100 Minuten lässt sich so hautnah miterleben, wie die zerbrechliche Psyche einer Frau, die ein Leben auf der Überholspur lebt, um ihre inneren Dämonen still zu halten, von äußeren Umständen vollständig annihiliert wird. Ohne Frage: Das stärkste Personendrama des Jahres!
04. The Gentlemen (Guy Ritchie)
Warum Guy Ritchie immer noch eine der stärksten Stimmen des zeitgenössischen Kinos ist, stellt sein neuester Streich unter Beweis, bei dem er zu seinen Ursprüngen zurückfindet, aber die perfektionistische Ausgestaltung seiner Hollywood-Ausflüge übernimmt. Das destruktive, rasante Gauner-Epos, irgendwo zwischen "Der Pate" und "Snatch" angesiedelt, verlangt vollste Konzentration vom Zuschauer, da es offen damit spielt, mehrere Sachen von der ersten Szene an auf einmal zu versuchen. Eine unchronologisch erzählte Charakterstudie eines Alphamännchens und seiner Fassaden ist der oberflächliche Fokus, gleichzeitig wird aber die britische Selbstwahrnehmung im Post-Brexit-Zeitalter verhandelt. Und wäre das nicht genug, sorgt die selbstironische, innovative Regie für einen Meta-Kommentar auf die Funktionalität und Effektivität des postmodernen Kinos. Der coolste, aber auch der intelligenteste Film der jüngeren Vergangenheit.
03. Little Women (Greta Gerwig)
"Betty und ihre Schwestern" wurde so oft verfilmt, dass es zu dem Stoff nichts mehr zu sagen gibt oder? Falsch! Wie immer ist das Kino das beste Medium für Neuausrichtungen, für kreatives Umdenken. Intellektuell, so kann man diese Verfilmung eines sogenannten Bildungsromans wohl am ehesten bezeichnen. Das geniale Drehbuch zeigt auf, wie viel sich aus einem bekannten Stoff herausholen lässt, durch einen einzigen narrativen Taschenspielertrick: die Ellipse. Dramaturgisch und chronologisch verrückt ist diese Adaption keine stringente Geschichte, sondern ein Mosaik von Momenten, die weiblichen Individualismus feiern, ohne einen bemühten Feminismus des 21. Jahrhunderts predigen zu müssen. Gleichzeitig ist dieser Film eine Lehrstunde in Publikumsmanipulation: Durch simpelste Informationsvorenthaltungen wird auf der Klaviatur der Erwartungen gespielt, ähnlich furios, wie es Alexandre Desplat im traumhaften Soundtrack tut.
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02. Kajillionaire (Miranda July)
Vielleicht ist es den Begleitumständen des Corona-Jahres 2020 geschuldet, dass das wahre filmische Meisterwerk von einer Familie handelt, einer Familie aus Betrügern, deren größter Betrug die Illusion einer intakten Familie ist. Soziale Inkompatibilität ist das erste und wichtigste Attribut, welches der Tochter des Betrügerpaares anhaftet, brillant gespielt von Evan Rachel Wood. Sie ist eine Empathin, gleichzeitig der Lebenswirklichkeit der verschiedenen sozialen Schichten aber fremd. Ihre Handlungen, aber auch ihre Verwurzlung in das Treiben der eigenen Verwandten, sind das Zentrum dieses berührenden Films, der lange Zeit von seiner Skurrilität a la Wes Anderson heraus Aufmerksamkeit bezieht. Natürlich sind das Kunstfiguren, und dennoch rühren sie zu Tränen, denn sie sprechen unser Innerstes an: Das Gefühl, einerseits den eigenen Weg gehen zu wollen, andererseits aber auch dazugehören zu müssen. Dermaßen brillant habe ich das Gefälle aus Individualismus und Gesellschaftswesen selten präsentiert gesehen. Bravo!
01. Hamilton (Thomas Kail)
Auf Disney+ ist dieses Jahrhundertwerk jetzt als filmische Aufbereitung eines Konzertmitschnitts veröffentlicht worden. Das "Hamilton"-Broadwaymusical ist vielleicht das medienübergreifende popkulturelle Meisterwerk des vergangenen Jahrzehnts. Nun rufen Puristen: Ein Konzertmitschnitt sei kein Film, sei nicht the real deal. Und natürlich gilt für die Theatererfahrung: Nichts ist vergleichbar damit, im Raum gewesen zu sein, in dem es passierte. "Hamilton" auf Disney+ gar nicht erst der Versuch, die Audience Experience eines Broadway-Stücks erlebbar zu machen. Stattdessen bringt uns die Kamera ganz nah ran an die Akteure, begrenzt bewusst unseren Blickwinkel, verweigert uns gerne den Blick auf die ganze Bühne. Die Regie ist für die Kamera akzentuiert, setzt Schwerpunkte, entschlankt. "Hamilton" auf Disney+ ist ein Film, und doch kein Film. Es ist eine Melange, ein Zwitterwesen, ein hungriges Biest. Eine neue Erfahrung. Was es aber nicht ist: Ein Kompromiss, bei dem der Cineast seine Ansprüche auf komplexes Filmhandwerk herunterschlucken muss.
